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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Hagen, Luise: Plauderei über Inschrift und Sinnspruch in der Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0227

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Gktober-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite s6ff.

Plauderei über -Anschrift rrnd -Minnspruch in der ^Mekoration.

von Louise ksageu, Berlin.

jnter denjenigen Gegenständen, die zu den unvermeidlichen
Begleiterscheinungen von Wohlthätigkeits - Bazaren,
Weihnachtsmessen und ähnlichen
Veranstaltungen gehören, spielt noch immer
der in Holz gebrannte Spruch, gewöhnlich
von einem großen Mohnblumenstrauß ein-
geleitet, eine hervorragende Rolle. Die Art,
wie diese Erzeugnisse des unermüdlichen
Dilettantenthums im gut bürgerlichen Heim
verwendet zu werden pflegen, zeigt allzu
deutlich, wie sehr der Sinn für das wahr-
haft Dekorative in weiten Kreisen der ge-
bildeten Welt noch im Argen liegt. Sie
beweist auch, wie wenig man gegenwärtig
daran gewöhnt ist, sich in Bezug auf den
Schmuck, der in Wohnräumen verwendet
wird, Rechenschaft über die innere Bedeu-
tung der Dinge zu geben. Zn erster Linie
fällt die Erscheinung ins Auge, wie wenig
zwischen Sinnsprüchen und Inschriften unter-
schieden wird. Die Spalten der Hausfrauen-
Zeitungen liefern Hunderte von Beweisen
davon, daß man jede Widmung und sonstige
Inschrift schlechthin einen Sinnspruch nennt.

Die Sache wird so weit getrieben, daß die
guten Damen die Erzeugnisse ihrer häus-
lichen Reimschmieden schlechthin Sinnsprüchc
nennen; es gibt sogar „Sinnsprüche" für
Weihnachtsgeschenke und unter diesen be-
sungenen Weihnachtsgeschenken figuriren
Kaffeewärmer, Brillenfutterale, Klammer-
schürzen und tausend andere nützliche Dinge.

Es will eben Alles besungen sein und wenn
es schon nicht anders geht, so wählt man
wenigstens eine Inschrift wie: „Schön
Wetter" für die plaidhülle und Klammer-
schürze, „Guten Einkauf" für die Markt-
tasche und „Gute Nacht, Mätzchen" für
die Vogelbauerdecke. Das Mangeltuch wird
in Ermangelung eines Besseren mit einer
gewebten Kante verziert, welche eine ganze
Reihe von winzigen Mangeln hinter einander
darstellt. So ließe sich die Liste dieser
poetischen Poesielosigkeiten bis ins Unend-
liche vervielfältigen. Ein erfindlicher Grund, weshalb z. B. das
Mangeltuch nicht auch mit einer Inschrift versehen wird oder
weshalb auf der Büffetdecke die Worte: „Mein Heim, mein Stolz"
prangen, wird nicht angegeben. Es fällt auch Niemand ein,
danach zu fragen, well die inhaltlose Schablone leider noch
immer weite Kreise unserer Gesellschaft beherrscht.

Bank vor den Räumen der Reichsanwaltschaft.

Von dem Sinnspruch darf man fordern, daß er einen Sinn,
einen Inhalt hat, der eine unabhängige, den Zeitstimmungen
nicht unterworfene Wahrheit ausdrückt. Diese
Wahrheit darf, eben weil sie den Sinn
beschäftigen soll, nicht in eine nüchterne,
banale Horm gekleidet sein. Ferner darf
man vom Sinnspruche eine gewisse Anpas-
sung an den Raum verlangen, in welchem
er angebracht wird. Auch darf man for-
dern, daß der Sinnspruch inhaltlich mit
den dekorativen Motiven in Einklang stehe,
von denen er unmittelbar umgeben ist.

Bibelsprüche — ich nenne sie zuerst,
weil man sie auf den beliebten Wandbrettern
am häufigsten sieht — entsprechen dem
Zwecke, dem man sie dienstbar macht, nur
in den seltensten Fällen. Sind sie didaktischen
Inhaltes, so haben sie höchstens in Schul-
zimmern Berechtigung. Auch da kann man
darüber streiten, ob nicht die Nothwendig-
keit, sie anzubringen, darauf schließen läßt,
daß die inneren Bedingungen für die frei-
willige, selbstverständliche Erfüllung der
Gebote einer reinen Ethik nicht vorhanden
sind. Velten Andres, der heimathlose,
besitzmüde Erdenpilger in W. Raabe's
„Akten des Vogelfang", der sich in der
Weltenesse pgdrasil verklettert hat, schreibt
an die Wand seines kahlen, öden Käm-
merchens: „^gefühllos,

Lin leichtbeweglich kserz
Ist ein beschwerlich Gut
Auf dieser wankenden Lrde!"

Sein ganzes Leben aber, und die Thatsache,
daß er es sich hinschreiben muß, liefern
den schlagenden Beweis dafür, daß es ihm
nicht gelang, seine Theorie in Praxis um-
zusetzen. Ebenso liegt für Diejenigen, die
dem inneren Wesen der christlichen Lehre
am nächsten stehen, in unserem verschwen-
derischen Gebrauch von Bibelsprüchen als
Wandschmuck ein tragischer Beweis dafür,
wie sehr die Religion im modernen Leben
Außensache geworden ist. Von Luther wird
erzählt, daß er einst in großer Traurigkeit, um sich selbst zu
trösten, auf den Tisch mit Kreide das Wort „birib" schrieb.
Seinen Freunden gab er dazu die Erklärung: „Wenn Ehristus
nicht lebte, so möchte ich nicht eine einzige Stunde leben". Das
ist die Stimmung, aus welcher heraus die Inschrift, der Wahl-
spruch, das Wappen entsteht. Aus dieser Stimmung heraus ist
 
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