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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Editor]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 5.1908/​1909

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Hauttmann, Max: Das Bamberger Elfenbein-Relief CIM 57 auf der Hof- und Staatsbibliothek zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.53749#0150

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124

sm BAMBERGER ELFENBEINRELIEF

noch frisch, später, bei zunehmendem tech-
nischem Raffinement oft äußerlich und ober-
flächlich erfaßt, und ihre Darstellungen ver-
raten nicht nur in der Vorliebe für Stoffe
lehrhaften, besonders dogmatischen Charak-
ters den gelehrten antiken Geist, sondern
sind trotz des Verbotes Karls des Großen r)
mit direkt aus der Antike herübergenomme-
nen Motiven und Vorstellungen, Personifi-
kationen und Allegorien durchsetzt.
Die Münchner Hof- und Staatsbibliothek
besitzt ein karolingisches Elfenbeinrelief aus
dem Bamberger Domschatz, das die Kreuzi-
gung darstellt (cim 57, clm 4452).* 2 3 4 * * * * 5) Das Re-
lief ist in einen mit Emaillen und edlen
Steinen geschmückten Buchdeckel eingelassen,
die eigentliche Darstellung von einem Blätter-
kranz und einfachen Leisten, an den Längs-
seiten von zwei breiteren Ornamentstreifen ein-
gefaßt (Abb. S. 125). Dem Werke liegt die ide-
alistische Auffassung der Kreuzigung zugrunde.
Der Künstler führt uns zwar den historischen
Akt vor Augen und ist bestrebt der biblischen
Schilderung zu folgen, indem er Maria mit
den weinenden Frauen, Johannes, Stephaton,
der Christus den Essigschwamm reicht, und
Longinus, der den Stoß mit der Lanze nach
Christi Seite führt, anbringt. Aber wie der
Gekreuzigte durch seine Größe aus den um-
gebenden Figuren herausgehoben und zum
Mittelpunkt der ganzen Tafel gemacht ist,
so ist auch der historische Vorgang heraus-
gehoben über das Irdische und in seiner ewigen
Bedeutung als Opfertod des Sohnes Gottes, als
Mittelpunkt der Heils- und Weltgeschichte
erfaßt: Christus,3) den sich die fromme
Ehrerbietung nicht leidend vorstellen will,
schwebt mit Kreuznimbus und Lendenschurz,
ohne Nägel und Wundmale, ohne Suppe-
daneum frei vor dem Kreuz mit geöffneten
Augen und wagrecht ausgebreiteten Armen
als Erlöser, der sich freiwillig hingibt für die
Menschheit. Das Haupt ist auf die rechte
Schulter gesunken, der Augenblick des Ver-
scheidens ist nahe: Von den Engeln, die
das Kreuz umschweben, hat der mittelste ein
Tuch ausgebreitet, in dem er die Seele des
Verstorbenen hinauftragen wird 4) zu Gott

') In den Libri Carolini, vergl. Janitschek, Gesch. d.
deutschen Malerei, S. 16, 17.
2) Die reichhaltige Literatur darüber ist zusammen-
gestellt in der Besprechung bei W. Vöge, Eine deutsche
Malerschule usw., Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte
und Kunst, Ergänzungsheft VII, Trier 1891, S. 113 ff.
Das Wichtigste aus der neueren Literatur wird im Ver-
lauf der Darstellung angeführt.
3) Nicht bartlos (Vöge), sondern mit Vollbart.
4) Nach Analogie von verschiedenen Darstellungen,
z. B. der allerdings späteren des Todes Mariä (Blatt 161 b),

Vater, dessen Anteilnahme an dem Vorgang
auf Erden durch die aus den Wolken reichende
Hand versinnbildet ist. Durch seinen Tod
bricht Christus die Macht der Hölle: das be-
deutet die Schlange, das Prinzip des Bösen,
die verendet zu Füßen des Kreuzes liegt.
Die vegetative Form des Kreuzes spielt auf
die Legende an, daß der Kreuzesstamm vom
Baum der Erkenntnis herkommt. 5) — Christus
stirbt am Kreuz, aber er überwindet den
Tod: Daran erinnert der Künstler durch die
Darstellung auf dem mittleren Felde: Vor
einem dreistöckigen Grabbau, hinter dem
vier Wächter sichtbar werden, verkündet der
Engel den überraschten Frauen, die mit Salben-
büchsen zum Grab gekommen sind, die Auf-
erstehung des Herrn. Unter dieser Szene ist
die Auferstehung der Toten angebracht, die
auf die Erlösung der Seelen in der Vorhölle,
besonders der Stammeltern,6 7) hinweist. Um
die weltumfassende Bedeutung der Kreuzi-
gung zu versinnbilden, läßt der Künstler die
ganze Natur an dem Vorgang teilnehmen:
Sonne und Mond, in den beiden oberen Ecken
in Kranzmedaillons als Gottheiten mitFackeln
in Wagen dargestellt, Sol von vier Rossen,
Luna von vier Kühen gezogen, Meer und Erde
in den unteren Ecken, Oceanus als bärtiger
Mann mit Schlangenhörnern auf dem Kopf, 7)
charakterisiert durch ein Füllhorn und eine
ausgegossene Urne, Tellus ebenfalls mit Füll-
horn und zwei Schlangen, von denen eine an
ihrer Brust saugt.
Drei Figuren bleiben uns noch zu deuten
übrig. Es handelt sich um Personifikationen,
wie sie weiterhin im Mittelalter geläufig sind
und zu deren Erklärung die Liturgie, Hymnen
und teilweise auch das geistliche Schauspiel
herangezogen werden müssens). Leicht ist
die Deutung der weiblichen Gestalt in lan-
gem Mantel unter dem Kreuz: Es ist die
Personifikation der Kirche, eine Ekklesia, mit
der Fahne der Weltherrschaft und dem Kelch,
in dem sie, die bestellte Verwalterin des
Sakramentes, Christi Blut auffängt. Schwierig
dagegen ist die Erklärung der Gruppe rechts
am Rande. Sie hat die verschiedensten Aus-
der Handschrift clm 4452. Ein Schweißtuch scheint
nicht zur Auffassung zu passen. — Bei den seitlichen
Engeln sind Kreuz- oder Lilienstäbe zu rekonstruieren,
vergl. Kreuzigungsrelief von Essen.
5) F. Piper, Der Baum des Lebens, Berlin 1863.
6) Die Legende nimmt Adams Grab auf Golgatha an.
Adam ist unter dem Kreuz inschriftlich bezeugt. Vergl.
dazu Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie,
Leipzig 1883, I. S. 540.
7) Vergl. Kreuzigungsrelief von Tongern (abg. bei
Cahier-Martin, Melanges d’Archeologie, Vol. II, PI. VI.)
8) Vergl.Paul Weber, Geistliches Schauspiel und kirch-
liche Kunst, Stuttgart 1894.
 
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