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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 5.1908/​1909

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Hasak, Max: Die Hohkönigsburg
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DIE HOHKÖNIGSBURG

234

DIE HOHKÖNIGSBURG
Hiezu das Einschaltblatt
Der Streit um den äußeren Anblick der Hoh-
königsburg ist höchst lehrreich. Jeder,
der die Sachlage nicht kennt, muß annehmen,
daß die jetzige Burg eine Neuschöpfung ist
und die alte Burg ein Trümmerhaufen war.
Warum könnte man denn sonst so völlig im
Zweifel darüber sein, wie die Veste eigent-
lich ausgesehen hat? — Es wird daher jeder-
mann erstaunt sein, zu hören, daß die Burg
bis an die Dächer aufrecht dagestanden hat
und der vielumstrittene Turm noch ein biß-
chen höher. — Unmöglich! — Und doch ist
dem so! — Der Beweis ist leicht zu führen.
Die Königliche Meßbildanstalt zu Berlin hat
die Hohkönigsburg im Jahre 1900 photo-
graphiert, ehe ein Stein angerührt worden ist.
153 Blatt, je 40 zu 39 cm groß, in der vor-
züglichen Ausführung, welche allen Photo-
graphien des Geheimen Rates Meydenbauer
eigentümlich ist, zeigen auf das genaueste den
Zustand der Burg vor Inangriffnahme der Wie-
derherstellungsarbeiten. Da ist auch das Innere
des obersten Turmgemaches in Höhe der Dächer
über der Burg zu sehen, welches ebenso vier-
eckig ist, wie der ganze Turmstumpf darunter.
Das Kunststück, auf dieses nicht allzustarke
Mauerwerk einen runden Turm aufzusetzen,
wird jeder Baumeister gerne denen überlassen,
für die in allen Jahrhunderten der Spruch an-
geschrieben worden ist: »Wer tut bauen an
der Straßen, muß die Leute reden lassen.«
Natürlich hat auch weder der Baumeister des
14. Jahrhunderts noch der vom Ende des
15. Jahrhunderts dieses Kunststück gewagt.
Jeder Baumeister sieht, daß der obere Teil
des Turmes viereckig war und nicht rund.
So hat es auch Viollet-le-Duc, der berühmte
französische Baumeister und Gotiker, schon
im Jahre 1875 dargestellt und gedruckt, und
der elsässisch-französische Baumeister Böswil-
wald hatte seine vorher angefertigten Auf-
nahmen damals Viollet mit dem viereckigen
Turm zur Verfügung gestellt. — Dem Gotiker,
welcher seinen Viollet studierte, war die Hoh-
königsburg nichts Unbekanntes, im Gegenteil
recht vertraut, ehe die Stadt Schlettstadt noch
diese alte Veste dem Kaiser schenkte. Bilden
doch die Säle der Hohkönigsburg im 4. Bande
des »Dictionnaire raisonne de l’architecture«
hochgepriesene Beispiele des unvergleichlichen
Konstruktionsgeschickes der mittelalterlichen
Baumeister.1) Man betrachtete mit Bedauern
g Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonne de l’architec-
ture fran<;aise du XIe au XVIe siede. Paris 1875. Bd. 4,
S. 233ff.

die meisterhaften Zeichnungen, da der Ein-
sturz der ohne Dächer dastehenden Säle vor-
auszusehen war. Zur Wiederherstellung ge-
hörten reiche Mittel. Wer sollte sie hergeben?
— Das hatte sich vermutlich auch die Eigen-
tümerin, die Stadt Schlettstadt, gesagt, als sie
die Burg dem Kaiser schenkte. Sie war an
die richtige Stelle gegangen. Ohne den Kaiser
wären sicherlich die oberen Säle nicht mehr
vorhanden; denn schon die 30 Jahre seit Bös-
wilwald und Viollet hatten manches zum Ein-
sturz gebracht.
Wer die Kunstgeschichte daraufhin schreiben
wollte, welche Bauten vor 100 Jahren noch
aufrecht standen und was heute davon fast
spurlos vom Erdboden verschwunden ist; wie
viel z. B. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
der Kunst und der Menschheit an Baudenk-
mälern erhalten hat, dadurch, daß er den Bitten
und Vorschlägen seiner Ratgeber entsprechend
aus den damaligen geringen Mitteln eine ver-
fallende Kirche nach der anderen wiederher-
stellen und unter Dach und Fach bringen ließ,
der würde jeden Streit verstummen machen,
ob man Ruinen wiederherstellen müsse oder
nicht.
Doch noch einmal zu dem runden oder
viereckigen Turm. Nicht bloß im 4. Bande,
auch im 3. Bande beschäftigt sich Viollet-le-
Duc mit der Hohkönigsburg.2) Daselbst bringt
er auch zwei Grundrisse der alten Veste. In
beiden ist der Turm viereckig und er schreibt
dazu: »La tour carree L est le donjon qui
domine l’ensemble des defenses, et parait ap-
partenir ä l’ancien chäteau.« (Der viereckige
Turm L ist der Donjon, welcher das Ganze
der Befestigungen beherrscht, und dem alten
Schlosse anzugehören scheint.)
Es kann also gar kein Zweifel darüber be-
stehen, daß der umstrittene Turm der Hoh-
königsburg viereckig war.
Wer die Holzschnitte und Kupferstiche jener
Zeit kennt, von Flartmann Schedels Chronik
angefangen bis zu den Städtebildern Merians,
der weiß, daß sie auf Genauigkeit der Wieder-
gabe keinen Anspruch machen. Aus solchen
Bildern läßt sich auf die baulichen Einzel-
heiten nichts Sicheres schließen, selbst wenn
die Bezeichnung daruntersteht, was sie dar-
stellen sollen. Gegenüber dem heute noch
stehenden Bauwerkkönnen sie überhaupt nichts
beweisen.
Unsere Abbildungen zeigen die Hohkönigs-
burg vor Inangriffnahme der Arbeiten, auf-
getragen von der Meßbildanstalt nach ihren

2) Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonne du l’architec-
ture. Paris 1875. S. lyiff.
 
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