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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 5.1908/​1909

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Lüthgen, Eugen: Charakteristik der spätgotischen Holzplastik des Inn-Salzach-Gebietes
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Gabriel von Seidl
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https://doi.org/10.11588/diglit.53749#0162

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134

GABRIEL VON SEIDL ma

Gegenüber dieser durch die Grenzlage be-
dingten, leichteren Zugänglichkeit für Einwir-
kungen aus fremden Schulzusammenhängen
besitzen die mittleren Gebietsteile des Inn-
Salzach-Kreises neben dem festeren Haften
an der Tradition eine stärkere Eigenwilligkeit.
Hier hat daher der Stil der Kunst des Inn-
Salzach-Kreises seine prägnanteste Ausbildung
erfahren.
Vor allem handelt es sich dabei um die
Bezirksämter Traunstein und Laufen. Aus
der Künstlergeschichte des Bezirkes Laufen
geht zwar hervor, daß der künstlerische
Einfluß der Salzburger Meister vom Beginne
des 16. Jahrhunderts an hier außerordentlich
groß war. Allein diese Vorherrschaft Salz-
burgs um die Wende des Jahrhunderts wurde
durch den Umstand bedingt, daß diese Stadt
alle bedeutenderen Künstler, deren eigentliche
Heimat der Bezirk Laufen war, an sich zog.
Dadurch bildete sich eine rege künstlerische
Wechselwirkung zwischen Salzburg und dem
Heimatgebiete der nach Salzburg gezogenen
Laufener Künstler. Für die Künstler des
späteren 16. Jahrhunderts, wie die Flagenauer,
Pfaffinger, Weißenkirchen, Rottmayer ist dies
erwiesen. Da die Entwicklung dieser Künst-
ler nur auf dem Boden einer hohen künst-
lerischen Kultur sich vollzogen haben kann,
ist die Annahme gerechtfertigt, daß schon
gegen Ende des 15. Jahrhunderts bedeutendere
Künstler, deren Namen bis jetzt noch nicht
festgestellt sind, dem Gebiete angehört haben.
Die vorhandenen


ABB. 6. HL. RUPERT IN GRÜN-
BACH. UM 1520 — Text S. 131

Werke bestätigen
dies. So vor allem
die Kirche in Fridol-
fing (Abb. 9 u. 10).
Die Zahl der er-
haltenen Werke der
spätgotischen Holz-
plastik ist außeror-
dentlich groß. Be-
rücksichtigt man nur
die besten bis mittel-
guten Arbeiten, so
sind aus der kurzen
Zeit von der Mitte
des 15. Jahrhunderts
bis um 1530 noch
etwa 20 große Altäre
und über 200 Ein-
zelstatuen der Holz-
plastik vorhanden.
Da trotz dieser Fülle
des Materials nur
ganz selten eine Ar-
beit sich findet, die

einen uneingeschränkten künstlerischen Ge-
nuß ermöglicht (Abb. 11), ist man wohl zu der
Frage berechtigt, weshalb überhaupt eine
Sichtung dieses Materials vorgenommen. Die
Notwendigkeit der wissenschaftlichen Bear-
beitung solcher durch natürliche Grenzen ge-
schlossener Kunstgebiete ergibt sich aus der
Erwägung, daß hier die Stetigkeit der Ent-
wicklung durch nichts unterbrochen zu wer-
den pflegt, daß die feste Tradition ein lang-
sames Herauswachsen des neuen Motives aus
dem alten gewährleistet. Denn hier weist
nicht ein einzelner kraft seiner künstlerischen
Genialität den Weg, sondern die Gesamtheit
der Kunstschaffenden wächst aus sich selbst
langsam in eine gereiftere Formensprache
hinein. Dies verfolgen zu können, ist ent-
wicklungsgeschichtlich höchst bedeutungsvoll.
GABRIEL VON SEIDL
Am 9. Dezember waren es 60 Jahre, daß
der berühmte Münchner Altmeister, von
unserer Zeit mit Recht als einer ihrer popu-
lärsten Baukünstler gefeiert, unter glücklichem
Stern das Licht der Welt erblickte. Fortuna
neigte sich über seine Wiege und Pallas Athene
drückte dem Kleinen ihren Weihekuß auf die
Stirne, die jetzt der Lorbeer des Erfolges einer
hohen Künstlerschaft schmückt.
Wie selten einem Künstler war es aber
auch dem jungen Seidl von Hause aus be-
schieden, in sicherer Ruhe und Förderung,
ohne die drückenden Existenzsorgen, die so
vielen anderen vorzeitig Schaffenskraft und
Freude rauben, seinen Weg zur Flöhe zu
schreiten ! Im Herzen Alt-Münchens, als Sohn
der dort eingesessenen, weitverzweigten Fa-
milie des kunstsinnigen Hofbäckermeisters
Seidl, wuchs er förmlich unter den Augen
hervorragender Künstler seinem Berufe ent-
gegen. Maler wollte der junge Gabriel denn
auch zuerst werden, doch sein trotz allen
Mäzenatentums praktischer Vater bestimmte
ihn zum Ingenieur; er bezog das Münchner
Polytechnikum und mußte — o Widerspruch
— mit einem Herzen voll hohen Künst-
lersehnens sogar eine Zeitlang praktisch in
einer Münchner Maschinenfabrik arbeiten, bis
er, glücklich vom siebziger Feldzug zurück-
gekehrt, durchbrach und sich wenn auch nicht
der Malerei, so doch der edlen Baukunst zu-
wandte, die damals, als man in der Begei-
sterung für ein neu geeinigtes Deutschland
auch die alten deutschen Kunst- und Bau-
denkmäler wieder zu neuem Leben erwecken
wollte, nur des Sämanns harrte, um auf hoch-
 
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