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Die Gartenkunst — 1.1899

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Schultz, Benno G. F.: Künstliche Felsanlagen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20975#0056

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ME GARTENKUNST

von Zacken, Spitzen, Kuppen u. dergl.; solche hochragende
Partien wirken meist unschön und stehen zu den kleinen
Alpenpflanzen in keinem Verhältnis. Ohne genaues Studium
der hehren Alpenwelt und ihrer Flora ist die Errichtung
einer natur- und lebenswarmen Felsenanlage ganz un-
möglich.

Nachdem der plastische Aufbau in seinen Haupttoilen ein-
schliefslich der Abhänge, Geröllhalden, Matten, Mulden und
Thäler vollendet ist, wird das ganze mit einer 25—30 cm starken
Schicht sandiger Rasenerde bedeckt. Ritzen, Spalten und
Fugen, welche zur Aufnahme seltener Hochalpinen dienen,
werden mit einer aus Kalkschutt oder aus Kalkstückchen
und scharfem Sand vermischten mageren Rasenerde, mit
Zusatz von Moorerde und Lehm, ausgefüllt, sogenannte
Garten- oder Komposterde darf als nachteilig nicht
verwendet werden.

Die Matte oder Hochwiese, welche von der Spitze der
Anlage sich allmählich und wellig bis ins Thal hinabsenkt,
ab und zu unterbrochen von eingestreuten und vorspringen-
den Felsstücken, erhält als Untergrund Gerölle oder Mauer-
schutt, darüber kommt die vorgenannte gemichte Rasen-
erde. Wie nun die Natur eine Alpenwiese mit den schönsten
Alpenblumen schmückt, so mufs auch auf der Anlage
die Matte den Glanzpunkt bilden. Die Schluchten und
Thäler erhalten eine stärkere Schicht Humuserde; in diese
kommen in möglichst zwangloser freier Weise,, ohne
zu grofse Anhäufung, so dafs stets der Eindruck der Natür-
lichkeit vorherrscht, die sogenannten Humuspflanzen.

Die Gletscher- und Felsenpflanzen gehören in die Fugen,
Spalten und Ritzen, sowie auf die Abhänge und an die
Steilwände. Um den kleinen Alpinen Raum und Halt zu
schaffen, müssen mit Meifsel und Hammer Löcher in die
Gesteine gestemmt werden; das Bepflanzen dieser Räume
erfordert die gröfste Sorgfalt, stets vermeide man horizon-
tale Lagen und sorge für guten Wasserabzug.

Ist eine Felsenanlage in vertikaler Richtung eingeteilt
in Voralpen, Mittel- und Hochalpen, und stellt sie in hori-
zontaler Lage die Centraialpen, Ost- und Westalpen, sowie
nördliche und südliche Kalkalpen (Dolomiten) dar, so wird
man bei der Bepflanzung entsprechend dieser Einteilung
sowohl die Flora dieser Gebiete, als auch die geognostische
Unterlage derselben berücksichtigen müssen. E. Wocke
warnt zwar vor Nachahmung bestimmter Gebirgszüge und
zieht die pflanzengeographische Einteilung vor.

Diese Ansicht hat viel für sich und es soll nicht in
Abrede gestellt werden, dafs eine pflanzengeographische
Einteilung in landschaftlicher Hinsicht malerischer wirkt,
es mufs aber entgegengehalten werden, dafs künstliche
Felsenanlagen nicht blofs Zweck, sondern auch Lehr-
mittel sein sollen, mithin die Kenntnifs der Gesteine in
Verbindung mit der Flora durchaus nötig ist, namentlich
in den gröfseren Städten des flachen Landes. Unbeschadet
ihrer malerischen Wirkung können sehr wohl auf einer
Felsenanlage bestimmteGebirgskomplexe mit der dazugehöri-
gen Flora bepflanzt werden. Will man aber aus Gründen der
Schönheit und Nützlichkeit einer pflanzengeographischen
Einteilung den Vorzug geben, so ist das eine Sache für
sich; im vorliegenden Falle handelt es sich aber nicht um

fremde, sondern um einheimische Berggebiete, um die
Deutschen, Schweizer und Tiroler Alpen. Nach ihrer
geographischen Lage gehören die Alpen gröfstenteils
der durch sommergrüne Laubgehölze charakterisierten
kälteren gemäfsigten Zone, in ihrer Gesammtheit meist
dem kontinentalen Waldgebiete an.

„Wer nie," bemerkt E. Wocke sehr treffend, „in den
Alpen jenen bunten Teppich bewundern durfte, wer nie
den Wettstreit der tausend Blütenaugen selbst geschaut und
die erhabene Alpenwelt noch nie gesehen hat, — der kann
sich kaum eine Vorstellung davon machen."

Die Alpenlandschaft erhält ihre eigenartige malerische
Schönheit durch den Kontrast der Schneehäupter, der saft-
grünen Blumenmatten, der dunklen Felsen mit ihren Wasser-
stürzen und des blauschwarzen Nadelholzes. Das an Pracht
und Plastik der Gebirgsformen, an landschaftlicher Schön-
heit so hochgepriesene und viel besuchte Bern er Ober-
land hat verhältnismäfsig die ärmste Flora aufzuweisen,
dahingegen gehört zu den berühmtesten Standorten
herrlicher und seltenster Alpinen das prächtige Alpen,
thal von Zermatt, 1620 m ü. d. M., sowie dessen
nächste Umgebung bis zum Gornergrat und Gornergletscher;
den Mittelpunkt bildet daz gewaltige Matterhorn. Das
Saasthal und das Nikolas- oder Zermatterthal mit ihren
blinkenden Gletschern, leuchtenden Firnfelder. Bergriesen,
Halden, Wasserfallen, grünen Matten und dunkelen Wäldern
gehören zu den erhabensten und seltensten Schaustücken
der Alpenwelt und zeichnen sich durch eine aufsorordent-
lich reiche und achörie Flora aus, die reichste im
ganzen Alpengebiete. J. v. Tschudi sagt von Zermatt:
„Die wunderprächtige Umgebung von Zermatt wird an
Grofsartigkeit und Erhabenheit von keinem Berggebiete
Europas übertroffen."

Endlich sei noch einer lebhaften Schilderung gedacht,
welche der Bernhardiner Prior Murith bereits 1795 über
den Weg von Visp nach Zermatt gab. „Die Natur hat
hier alles verschwendet, was sie an Erhabenheit und Reich-
tum der Felsen, Wälder und Wasser hervorzubringen hatte.
Inmitten einer wie abgelebten und in Ruinen zerfallenen
Welt empfangen wir ganz neue Eindrücke im Anblick der
majestätischen Trümmer einer Schöpfung, deren Spuren
einer Katastrophe, welche an Zerstörung und Schrecken all
unser Denken übersteigt.

Im Grunde der Schlucht wälzt die Vispe ihre stürmi-
schen Wasser in den Buchten der Rinne, welche sie sich
gegraben. Eine Unzahl von Blöcken, die sich von den
Höhen gelöst haben, erheben sich mitten in ihrem Bett,
als ebenso viele von Moos und Flechten umhüllte Inseln;
das von Sand und Glimmer weifse Wasser bricht sich
schäumend durch diese Hindernisse Bahn. Dieser Gegend
voll Schwermut fehlen nur, um sie zum ersten Park der
Welt zu machen, einige Wohnungen, welche der gänzlich
dahingenommenen Seele den Menschen und seine Arbeit
zurückrufen.

Endlich öffnet sich, nach einem krummen Hohlwege,
plötzlich das Thal, das trunkene Auge erschaut eine Fläche
vom schönsten Grün, in deren Hintergrund malerisch das
Dorf Zermatt liegt.
 
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