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Die Gartenkunst — 1.1899

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Hein, Heinrich: Rasengräser, Grassamen und Grassamenmischungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20975#0082

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DIE GARTENKUNST

der betreffenden Grasart bei, als wenn eine dichtere oder öfter
wiederholteAus- und Nachsaat stattfindet. Typische Stolonen
treibende Gräser sind das Pioringras (Agrostis alba L. var.
stoloniferaMey.) und die Quecke (Triticum repens L.). Bei letz-
terer entwickeln sich die mit schuppenartigen unterirdischen
Blättern besetzten Ausläufer unterirdisch-weitkriechend und
treiben an den Knoten nach oben (oberirdisch) neue
Blätterbiischol (auch heurige Blätterbüschel, Erneuerungs-
triebe, Soitensprosse, Seitentriebe, Laubsprosso, Innova-
tionen genannt), welche faserige Wurzeln nach unten ent-
senden. Durch die Erzeugung solcher Blätterbüschel wird
für die Erhaltung der Pflanze für eine neue Vegetations-
periode gesorgt. Durch die Bildung der Faserwurzeln
werden diese Blätterbüschel selbständige Pflanzen, welche
meist immer im ersten Jahre steril bleiben. Sie sind die
sichersten Merkmale einer ausdauernden (perennierenden)
Graspflanze. Im zweiten Jahre entsenden sie aufwärts den
oberirdischen Halm mit dem Blütenstand (s. das.). Die
Blätterbüschel stehen bei verschiedenen Gräsern in ver-
schiedener Entfernung von der Mutterpflanze, bei einigen
Gräsern vereinzelt, bei anderen gehäuft. Wo aber die
Seitensprossen unmittelbar neben der Mutterpflanze auf-
schiefsen, gleichsam als mit derselben eine Pflanze bildend,
da haben wir es mit horstbildenden Gräsern zu thun.
Solche geben für sich allein niemals einen geschlossenen
Rasen. Erst wenn ausläuf er treibende und horst-
bildende Gräser im Gemenge kultiviert werden,
entsteht ein geschlossener Rasen. Hierauf gründet
sich in erster Linie die Theorie der Grasmischungen für
Dauerwiesen und dauernde Rasenplätze.

Die Lebensdauer der Gräser ist ein- bis mohrjährig
(perennierend). Von den einheimischen Gräsern werden
wohl einige als zweijährig betrachtet, weil sie, im Herbst
des einen Jahres gesäet, noch vor Anfang des Winters
aufgehen, aber erst im nächsten Jahre zur Fruktiflkation
gelangen. Hierher gehört unser Wintorgetreide und einige
andere Gräser, namentlich einige Bromus-Arten. Zur Ent-
wickelung der Pflanze aus dem Samenkorn bis zum Frucht-
tragen bedarf es jedoch nur dos Zeitraumes eines Jahres
und wird die Dauer von einem Jahre bis in das andere
nur durch die Kultur bedingt. Die weit überwiegende
Mehr/ab) der einheimischen Gräser sind mehrjährig. Die
Lebensdauer dieser hängt von klimatischen und Bodenver-
hältnissen ab, zuweilen indessen auch von anderen äufser-
lichen Einflüssen. Sie entwickeln im ersten Jahr meist
nur Blätterbüschel; diese schiefson im zweiten Jahre in
Halme mit Blütenständen und neben den fruchtbaren
Blätterbüscheln entstehen dann durch die fortgesetzte Be-
stückung neue unfruchtbare, welche im folgenden Jahre
fruktifizieren. Die ausdauernden Gräser erreichen teils im
zweiten, teils im dritten Jahre ihre vollkommene Aus-
bildung und halten sich dann bei sorgsamer Pflege oft viele
Jahre. Wo die Pflege aber mangelhaft gehandhabt wird,
kommen die meisten nicht über das sechste Jahr hinaus.
Daher ist ein Verständnis für die Lebensbedürfnisse der
Rasengräser, eine vernünftige Pflege derselben, keine un-
billige Forderung, die man an einen Landschaftsgärtner
zu stellen vollkommen berechtigt ist.

Einjährige Gräser blühen im ersten Jahre und sterben
nach der Blüte ab. Für Rasenanlagen kommen sie nicht
in Betracht.

Halm und Blutenstand der Gräser.

Der den Blütenstand der Gräser tragende Stengel heifst
Halm. Er ist in der Regel einfach und nur bei einigen
einheimischen Arten am Grunde verästelt (Andropogon
Ischaemum L., Weingaertneria canescens u. a.). Die
Blätter der Gräser entspringen am unter- oder oberirdischen
Stengeltoil (Halm) an den Knoten (Halmknoten). Halm-
blätter und Wurzelblätter sind mehr oder weniger von
einander verschieden; sie stehen zweizeilig in wechsel-
ständiger Stellung an den Halmknoten und bestehen aus
Blattscheide (vagina) mit dem in der Regel häutigen weifsen
Ansatz, dem Blatthäutchen (ligula), und der Blattspreite.
Die Blattscheide entsteht aus der innigen Verwachsung
eines oder zweier achselständiger Nebenblättchen mit dem
eigentlichen Blattstiel. Sie umschliefst den Halm auf einen
Teil seiner Länge und ist nach vorne offen, abwechselnd
links oder rechts um den Halm gerollt. Das Blatthäutchen
ist oft kurz gestutzt, oft lang vorgezogen; bisweilen fehlt
es fast ganz: immer aber ist es bei einer Art von gleicher
charakteristischer Beschaffenheit.

Die Blattspreite (Blattfläche) ist entweder flach oder
eingerollt oder gefaltet, bisweilen borstlich. In der Längs-
richtung derselben verlaufen parallele Nerven und Furchen,
letztere bei verschiedenen Arten von verschiedener Tiefe,
beides aber bei bestimmten Arten in gleicher Anzahl.
Neben der Faltung der Blätter, auch in der Knospenlage,
ist die Anordnung der Nerven und die Faltung der Blätter
für die Unterscheidung der Arten sehr wichtig und ge-
stattet eine Bestimmung mit annähernder Sicherheit, wenn
auch der Blütenstand fehlt.*)

Das obere Ende des Halms krönt der Blütenstand.
Alle Blüten der Gräser stehen in ein- bis vielbliitigen Ahrchen.
Die umstehende Abbildung Fig. 1 stellt das Ährchen
einer Haferart dar. Es besteht aus kahnförmig gebogenen
zweizeilig gestellten, im nicht blühenden Zustande sich
deckenden Blättchen (Spelzen), welche die Blüten ein-
schliefsen. Die beiden untersten dieser Blättchen (selten
mehr oder weniger) sind unfruchtbar (steril), d. h. sie tragen
keine Blüten. Sie sind bisweilen so grofs, dafs sie, wie
beim Hafer, das ganze Ahrchen oinschliefsen, bisweilen
aber von ganz abweichender Beschaffenheit, so dafs das
Ährchen aus ihnen weit hervorragt (Bromus, Festuca,
Poa u. a.). Sie hoifsen Hüllspelzen oder Klappen (valvae)
und bilden zusammen den Balg (gluma). Sie stehen nie
in gleicher Höhe und es wird leicht, eine obere und untere
Klappe zu unterscheiden. Die obere Klappe ist in der
Regel kleiner und wird an den Rändern von der gröfseren

*) Der Baum gestattet es nicht, diese wichtigen Merkmale Iiier weiter
zu erörtern und ohne Zuhilfenahme des Mikroskops und entsprechender
Zeichnungen von Querschnitten durch die Grasblätter bestimmter Arten
lässt sich die Richtigkeit vorstehender Behauptung nicht demonstrativ
beweisen. Wünschenswert erscheint es indess, das im allgemeinen diesem
Teile der Gräserkunde von Beteiligten mehr Aufmerksamkeit entgegen-
gebracht würde. Man würde dann auch in der Lage sein, den Wert der
sog. ,.AusstellungsrasenLt besser und gerechter beurteilen zu können, als
es bisher zu geschehen pflegt.
 
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