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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 1 - Nr. 10 (2. Januar - 12. Januar)
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Seile 4

Freitag, den 4. Januar 1935

Nr. 3

Der Glaube im Leben
ML eß Hins öeutsKs WWW? - Eins Frage und ihre Antwort
Von Erzbischof Dr. Conrad Gröber.

In der neuen Schrift, die soeben im Ver-
lag Herder erscheint, „Nationalkirche? —
Ein aufklärendes Wort zur Wahrung des
konfessionellen Friedens" (karton. 80 Pfg.)
behandelt Erzbischof Dr. Conrad Gröber
Fragen, die mit dem Thema: Ist eine deut-
sche Nationalkirche möglich? — Zusammen-
hängen. Nachstehend geben mir mit Erlaub-
nis des Verlags einen Ausschnitt.
Gibt es eins deutsche Religion? Eine Reli-
gion, die sich nicht bloß durch die schwarz-roeiß-
roten Schlagbäume und die etwaigen Kultlaute,
sondern durch ihr Wesen und ihren Inhalt von
allen andern trennt? Da es für den vernünftig
denkenden Menschen keinen deutschen Gott gibt
sondern nur den einen Gott, den Schöpfer Him-
mels und der Erde, da es weiter auch keine aus-
schließlich deutsche Wahrheit religiöser Art gibt,
sondern nur die eine menschliche Wahrheit, allen
naturgemäß und allen zugänglich, die den Ver-
stand vorurteilslos zu gebrauchen und die Welt
kausal zu betrachten vermögen, da es endlich kein
ausschließlich deutsches Sittengefetz gibt, sondern
nur eines, das in der Natur des Menschen als
solcher von jeher und überall wurzelt und seine
letzte Verursachung und Motivierung im über-
weltlichen, einen Gott findet, darum gibt es auch
keine ausschließlich deutsche Religion. Deutsch
kann eine Religion nur, um es abermals zu be-
tonen, in ihrer Aeußerung und Auswirkung sein,
in ihrer Umsetzung ins Erleben des Gemütes
und ins Weben der Phantasie, was übrigens
keine Neuentdeckung bedeutet, sondern als viel-
fache Erfahrung der Kirche feit langen Jahrhun-
derten als vielfache Erfahrung der Kirche seit
langen Jahrhunderten gilt und keine unwichtige
Erfahrung der Kirche feit langen Jahrhunderten
gilt und keine unwichtige Rolle in der christlichen
Eeistssgeschichte nach den verschiedensten Rich-
tungen hin spielt. So sehr es ein unwahres Ex-
trem wäre, zu behaupten, daß sich die Rassen trotz
ihrer körperlichen Mannigfaltigkeit in ihrem
geistigen Leben ohne Unterschied gleichen, ebenso-
sehr wäre es aber auch ein irriges Extrem, das
tatsächlich Gemeinsame zu leugnen und >damit die
Einheit des Menschengeschlechtes zu zerreißen
und die gemeinsamen Stammbäume zu entwur-
zeln. Oder warum sollte der körperlichen Grund-
gleichheit nicht auch eine geistige Erundgleichheit
entsprechen? Die entgegengesetzte Behauptung
wird übrigens auch durch die notwendigen Kon-
sequenzen >ad absurdum geführt. Denn dann
wäre auch eine allgemeine Erkenntnis und Wis-
senschaft nicht möglich, sondern lediglich eine
Täuschung, wie das wechselnde Farbenbild drau-
ßen, oder nur ein leeres Uebereinkommen in
Zeichen und Worten, hinter denen sich aber ganz
verschiedene Begriffe verstecken, so daß wir schick-
salshaft aneinander vorbeireden müßten, wie
zusammengewürfelte Eskimos, Hottentotten und
Chinesen, ohne uns in der Weltsprache der
menschlichen Gedanken zu verstehen.

Was die artechte deutsche Religion endlich
betrifft, so sei uns nur die eine, aber wie uns
dünkt, ganz wesentliche und entscheidende Frage
erlaubt: Was verstehen wir denn eigentlich
unter der deutschen Art Wir können zwar ein-
wandfrei die eine oder andere Eigenschaft unse-
res Wesens benennen, aber unser Wesen in sei-
ner Ganzheit noch keineswegs einhellig bestim-
men, wie sich aus den bisherigen unzulänglichen
oder gar widerspruchsvollen Versuchen überzeu-
gend ergibt. Ob es bei der tatsächlichen und ver-
schiedenartigen Mischung überhaupt je gelingt?
Damit ist es vorerst aber auch unmöglich, die art-
echte deutsche Religion daraus zu bilden und mit
Grenzpsählen schiedlich zu umzäunen. Dabei ge-
hen wir keineswegs so weit, als Lessing etwa
seinerzeit ging, der geradezu behauptete, der
Charakter des deutschen Volkes liege darin, daß
es keinen Nationalcharakter besitze. Wir möchten
auch nicht dem Geschichtsschreiber Leopold von
Ranke beipflichten, der die rhetorische Frage for- !
mulierte: „Wer will jemals in den Begriff oder
in Worte fassen, was Deutsch sei? Wer will ihn
beim Namen nennen und den Genius unserer
Jahrhunderte, der vergangenen und der künfti-
gen?" Wir wollen nur in einer überschweng-
lichen und gärenden Zeit zu größerer Bescheiden-
heit mahnen und vor maßlosen Uebertreibungen
warnen, die heute etwas für uns Deutsche aus-
schließlich beanspruchen oder als art- und blut-
widrig wie fast eine völkische Entehrung absto-
ßen, wa svielleicht sine kommende Periode als
echt deutsch oder als nachweislich undeutsch kenn-
zeichnet. Wie wenig eindeutig der Begriff des
deutschen Wesens gerade auf dem religiösen Ge-
biete ist, ergibt sich am besten aus der Tatsache,
daß die einen behaupten, das Christentum wi-
derstrebe naturhaft dem deutschen Blut, während
wieder andere das gerade Gegenteil mit guten
Gründen belegen und Christus zum Archiv stem-
peln, wie wir in unserer vorletzten Broschüre:
„Einer ist euer Lehrer, Christus" ausführten. Die
Wahrheit liegt auch hier wie überall in der
Mitte. In jedem Fall ergibt sich aus dem Ange-
führten zur Genüge, daß sich eine Nationalkirche
mit artechter Religion jenseits des wahrhaft Re-
ligiösen und Gottgläubigen bewegt und auf sehr
lockerem, brüchigem Boden und nach architekto-
nischen Gesetzen aufbaut, die zwar zu zauberhaf-
ten Wolkenpalästen, ergötzlichen Kartenhäusern
oder kindlichen Sandburgen führen, aber nicht
zu dauerhaften Grundmauern und himmelstre-
benden Domen auf der dreidimensionalen Erde.


ReuschrsempfäiM in Rom und Wien

Am Vattkm


hielt der Heilige Vater wieder einen großen Empfang ab, zu dem auch -- wie unser BM
zeigt — eine Abordnung der Nobelgarde zugelafsen wurde.

An Mn


empfing der österreichische Bundespräsident Dr. Miklas (1) in Gegenwart des Außen-
ministers Baron B e r g e r - W a l d e n e g g (3) das Diplomatische Korps, dessen Sprecher
der päpstliche Nuntius Erzbischof Dr. Sibplla (2) war. Auch der Gesandte des Deut-
schen Reiches, Herr von Papen(4), nahm an dem Empfang teil.


HV«S SLL«LM
vornan von ll. äclnneiZsrk^oerslI
llrlrebsrreclrtssotxutr Verlsx Osksr Geister, V^ercksu

41) (Nachdruck verboten.)
Gewisses könne niemand sagen. Es soll sich
um ein paar Millionen drehen. Emer der
Knechte hat es von Merkts ausgsschnappt, und
das arme Doridl mußte so früh daran glau-
ben," flötete dis Bäckerin weiter und schickte
gleichzeitig einen vorwurfsvollen Blick nach
der Amtmännin hinüber.
Aber die sagte nichts weiter als „Sis ist
wirklich ein gutes Ding gewesen. Aber die
müßen immer am ersten fort-von heute
ab brauche ich also vorläufig kein Brot mehr,
Frau Meisterin."
Am Nachmittag fuhr sie dann weg, nicht
ohne vorhern noch zweidutzendmal einen Laut-
marsch durch die ganze Wohnung gemacht zu
haben: Jalousien zu? — Riege' eingehakt?
— Fenster geschlossen? — Gas abgedreht? —
Wasser gesperrt, Gott o Gott, beinahe ver-
säumte sie den Zug und sank todmüde in die
Ecke eines AbteÄs
Rechtsanwalt Schütte erwartete sie am
Bahnsteig. Sein finsteres Gesicht machte sie
unsicher. „Ich fahre gleich wieder weg, wenn
du so Lös bist, Arno!"
Aber er war nicht in der Laune, auf ihren
Scherz sinzugehen, nahm ihre beiden Koffer
aus dem Gepäcknetz und übergab sie einem
Träger. Sie schüttelte den Kopf, als sie die
groA» Limousins vor dem Hauptportal ge-
wahrte und wagte eine Frage: „Kannst du
dir -d-enn das noch leisten?"
Er warf den Schlag zu und gab Gas. „Die
Alte bat wohl geklatscht?"
Verschüchtert sah sie ihn an. „Wer?"
„Nun, meins Frau Schwiegermama," meinte
er, viß das Steuer herum und stieß einen
Fluch aus, daß sie völlig in sich zusammensank.
„Anio?-"
„Unia?-"
„Läuft mir der Esel direkt in die Fahr-
bahn," schalt er und hielt dann die Lippen
wieher fest aufeinander gekniffen. „Die Kleine
hat den Keuchhusten."
„Und davon schreibt Ihr mir gar nichts!"
entsetzte sie sich und sah ihn vorwurfsvoll an.
„Da hätte ich gleich Tropfen von der Je-
suitenapotheks mitnehmen können."

„Tropfen kriegst du hier auch," sagte er
und stoppte ab, denn das rote Licht drosselte
den Verkehr.
Sie legte die Hand leicht auf die seine, die
um das Steuerrad geballt war. „Sag doch,
Anio, läßt sich deine Frau wirklich nicht be-
stimmen, auf ihre Tournee zu verzichten."
„Daß du mir nichts dareinpfuschst!" drohte
er und lächelte flüchtig, als er ihren erschrocke-
nen Blick gewahrte. „Ich will setzt gar nicht
mehr, daß sie dableibt. Sie soll machen, daß
sie weiterkommt!"
„Um Gottes willen, Anio!"
„Was ist da weiter zum Entsetzen dabei?"
fuhr er sie an. „Vielleicht bringe ich den
Saustall allein eher wieder ins Geleise."
„Gott, o Gott", jammewe sie !m stillen, ge-
traute sich aber kein Wort mehr zu sagen,
denn das gelbe Licht flammte eben aut, und
sein Fuß trat wieder auf den Hebel. „Wohw
ihr denn nicht mehr in der Briennerftraße?"
fragte sie zaghaft, als er die Richtung nach
Schwabing hinunter nahm.
„Wir fahren erst in mein Büro."
„Hast du dort was zu tun?"
„Ja-"
Sie fragte nichts mehr. Der Buchhalter
begrüßte sie mit einer devoten Verneigung
und sagte halblaut: „Herr Iustizrat haben
es abgelehnt, Bürgschaft zu übernehmen."
Frau Schüt.w bemerkte, wie der Sohn blaß
wurde; während sie die Treppe hinunter
schritten, fragte sie ängstlich: „Für wen
brauchtest du denn Bürgschaft, Anio?" Er
gab keine Antwort und hielt den Wagenschlag
für sie geöffnet. Während der Fahrt drängte
sie noch einmal in ihn nnd bekam ein kurzes
Lachen zurück.
„Kannst du mir zehntausend Vdark leihen,
Mutter?"
„Allmächtiger!"
„Siehst du," sagte er leichthin, „zehntau-
send Mark sind auch viel!" Sein Spott
schwang diesmal wie eine Geißel. „Aber ich
kann meine Frau doch nicht mit leeren Hän-
den ihre Tournee antreten lassen."
„Aber sie hat doch selbst ein so großes Ver-
mögen, Anw!"

„Hatte! liebe Mutter. Die Hälfte davon
ging im Spiel verloren. Die Papiere stehen
momentan sehr tief im Kurs. Kein Mensch
wechselt dir Pfandbriefe zu einem anständi-
gen Preis." Mit der Linken tastete er nach
ihrer Hand herüber, und strich darüber hin.
„Solche Sachen kommen, wenn man alt wird."
„Vierunddreißig Jahre, Anio!"
„Ist das nicht alt genug?" sagte er und
balancierte knapp an einer grauen Limou-
sine vorüber, die aus einer Seitenstraße kam.
Baron Eycke, der am Steuer saß, zog den
Hut und bekam keinen Dank zurück. „Tann
nicht!" lachte er bösartig. „Sie werden noch
Augen machen, Herr Dr. Schütte! — Solche
Augen!"
Als Ellp das Hupensignal ihres Mannes
hörte, strich sie das Haar zurecht und nickte
ihrem Spiegelbilds zu. Die Kleine hatte ge-
rade einen Hustenanfall und wurde von dem
Kindermädchen an das offene Fenster getra-
gen. Frau Schütte hörte den keuchenden Ton
und vermochte nicht rasch genug die Treppe
hinaufzukommen. Elch empfing sie im Flur
mit einem Kuß auf die Wangen und meinte
trocken: „Wie du die Stiegen noch laufen
kannst in deinem Alter!"
„Das Kind hustet so!"
„Gott ja! Das braucht seine Zeit!" Sie
half der Schwiegermutter aus dem Mantel
nnd legte ihn dem Zimmermädchen aus den
Arm. „Wo ist Anio?"
„Er bringt den Wagen noch in die Garage.
Sag, Elch," dabei hielt sie die junge Frau am
Arme fest, „kannst du denn da gehen, wenn
dein Kind krank ist?"
Die schöne Mama lachte verärgert am.
„Das wird auch nicht schneller gesund, wenn
ich dableibe."
„Habt Ihr Euch denn so auseinanderge-
lebt?" Fran Schütte vergaß in der Sorge
über das gefährdete Glück ihres Sohnes die
kleine Enkelin, deren Stimmchen aus dem
Zimmer nebenan klang.
Elch nagte verärgert an der Unterlippe.
„Du hast einen Dickkopf an ihm großgezogen,
Mama. Und seit einiger Zeit ist er auch fle-
gelhaft! — Jawohl!" stampfte sie mit dem
Fuße auf. „Flegelhaft! MrKch hat er mich
sogar geschlagen."
„Geschlagen?" entsetzte sich die erschrockene
Frau. „Du lügst, Elch! Ich bitte dich, mein
Anio! —"
„Dein Aniol" höhnte EM und zerknüllte

vor Wut ihr Spitzentaschentuch, „entpuppt
sich als ein ganz ordinärer Bauer, der nicht
eine Tochter aus erster Familie hätte heira-
ten sollen, sondern eine Stallmagd. Die würde
alles tun, was er verlangt: Schuhe putzen,
spülen, Bosten waschen, fegen und wenn er
am Abend kommt, vor ihm auf den Knien lie-
gen und bitten: „Erlaube, daß ich dir die
Socken ausziehe?"
„Aber das verlangt er doch sicher nicht von
dir," warf Frau Schütte kleinlaut ein.
Sie wurde von einem Blick von oben her-
ab gestreift. „Du bist naiv, Mama! Ich lasse
es schon gar nicht soweit kommen, aber er
würde es annehmen, wenn ich auch nur
Miene machte, es zu tun. — Hat Hohlbaum
Bürgschaft geleistet?" wandte sie sich an
Schübe der eben eintrat.
„Nein."
„Gott, wie ärgerlich!" Ohne Rücksicht auf
die Schwiegermutter überhäufte sie ihn mit
Vorwürfen. „Was mußt du auch mein Geld
angreifen! Traurig genug, wenn deine Pra-
xis nicht mebr soviel abwirst, eine Familie
ernähren zu können!"
Er mar weiß wie die Decke, auf welcher die
Schattenbilder der unten vorüberflitzenden
Fahrzeuge gaukelten. „Du vergißt dich!"
„Ha!" Sie war setzt nicht mehr die.wohl-
erzogene Tochter aus erstem Hause, sondern
ein ordinäres Weib, deren Bildung sich.als
Firnis erwies. „Wenn ich will, kann ich dich
sogar ins Zuchthaus bringen!"
'„Elch!" schrie Frau Schütte auf, „den eige-
nen Mann!"
Sie sah ein, daß sie zu weit gegangen war,
und half sich mit Tränen. „Du weißt nicht,
wie er mit mir ist! Ich habe jedesmal Furcht,
wenn er nach Hause kommt. Neulich hat er
souar mit einem Schub nach mir geworfen."
Frau Schüttes Blick schrie förmlich um
Aufklärung und eine Verteidigung von feiten
des Sohnes. Aber es erfolgte nichts. Er stand
am Tisch und batte die Hände auf die Kante
gestützt. Das Gesicht herabgeneigt, wirkte es
grau ° wie eine Leiche. „Anio," bat sie, einen
Schritt auf ihn zumachend, „ist es denn wirk-
lich so, wie die Elly sagt? Gib mir doch
Antwort, Anio!" weinte sie, nun auch alle
Beherrschung verlierend. „So habe ich dich
noch nie gekannt!"
Er sah auf und ihr geradewegs irr die
Augen. „Du hättest mich im ersten Bad er-
tränken sollen^ Mutter!"- EoM.SAM
 
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