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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 31 - Nr. 40 (6. Februar - 16. Februar)
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GM-

Freitag, den 15. Februar 1S35

Kr.SZsN!

Aus der Lyromk der Erzdiözese Freiburg im Zähre 1934

In der Februarnummer des „Ober-
rheinischen Pa-storalblattes" veröffentlicht
der Erzb. OrdRariatsrat Dr. S. Hirt
eine Chronik der Erzdiözese Freiburg
für 1934, der wir folgendes entnehmen.
Die Zahl der Welt priest er in der
Erzdiözese beträgt nach den neuesten Feststel-
lungen 1652, die der Ordenspriester 243. Von
den ersteren'befinden sich 133 im Ruhestand
(11 davon waren in staatlichen Stellungen),
weitere 30 sind krankhsit- oder studienhalber
oder aus anderen Gründen beurlaubt. 54
Priester sind in ' öffentlichen und Privaten
Stellungen tätig u a. als Hausgeistliche in
Krankenhäusern, Erholungsheimen oder son-
stigen oaritativen Anstalten. In der außer-
ordentlichen Seelsorge arbeiten dauernd 9
Geistliche, die als Mitglieder dem Erzbischöfli-
chen Missionsinstitut in Freiburg angehören
In Heil- und Pflegeanstalten und in Straf-
anstalten wirken 4 Geistliche hauptamtlich als
Seelsorger ihrer Pflegebefohlenen. In kirch-
lichen Erziehung?- und Bildung? anstalten
obliegen 19 Priester den ihnen gestellten Aus-
gaben, in Erzbischöflichen Kinderheimen 2
hauptamtlich). An den höheren Lehranstalten
und Fachschulen sind 45 Priester hauptamtlich
tätig, an der Lendcrschen Lehranstalt 8. Der
theologischen Fakultät gehören als Lehrer 16
Geistliche an.
Somit entfallen auf die reguläre Seelsorge
1330 Geistliche, die in 961 S-eelsorgebezirken
pastorieren. Davon sind 898 Pfarreien und
63 Kuratien. Auf Hohenzollern kommen 81
Pfarreien. Der Zuwachs an Seelsorgskrä:'-
ten entsprach im vergangenen Jahre wie in
den vorausgehenden Jahren nicht dem tat-
sächlichen Bedarf. Es gilt auch hier: „Die
Ernte ist groß, der Arbeiter sind nur wenige"
(Lk. 10, 2). Bei der am 15, April v. Js. in
der Seminarkirche in St. Peter stattgefunde-
nen Ordination wurden 35 Diakons durch den
Herrn Erzbischof zu Priestern geweiht, die
dann im Verlaufe des Monats Mai auf ihre
Posten angewiesen wurden. Die Ziffer ist be-
sonders gering im Hinblick auf die Zunahme
der Bevölkerung und die dadurch bedingte
Vermehrung der Seelsorgsstellen, wie sie vor
allem in den Städten in die Erscheinung
tritt. Ten Bedürfnissen der Pastoration könnte
genügt werden, wenn ständig ein Zugang von
40 bis 5)0 Kandidaten iährlich vorhanden
wäre. Die Zahl 50 ist seit dem Jahre 1914
nur in den Jabren 1922 und 1926 erreicht
worden, in den Jabren 1927 und 1930 waren
es gar nur 33 Neupriester, In, den lebten
Jahren hat der Zugang zum theologischen
Studium erfreulicherweise stark zugenommen
so daß in den. nächsten Jahren die durchschnitt-
liche Bedarfszifser nicht nur erreicht, sondern
überschritten werden dürfte. Bei dem immer
fühlbarer mordenden Priesterin angel war es

notwendig, auch die Hilfe von Ordensgeist-
lichen für die ordentliche Seelsorge in An-
spruch zu nehmen, -die von den einzelnen
Klöstern und Ordensg-enossenschaften bereit-
willigst geleistet wurde.
Im Verlaufe des Jahres traten 13 Geist-
liche in den Ruhestand (1933: 11), so daß
die ZM der pensionierten Geistlichen sich auf
133 erhöhte. Bei einer Gesamtzahl von 1652
Priestern beträgt somit der Hundertsatz 8,05,
wenn man nur die -Zahl der Seelsorgsgefft-
lickwn berücksichtigt, 8,41.
Auch der Tod hat aus den Reihen des
Klerus seine Opfer geholt. 23 Geistliche sind
in die Einigkeit eingegangen, darunter 14 aus
dein aktiven Seelsorgsdienst. 9 waren bereits
im Ruhestand. Die Zahl derjenigen, die aus
dem aktiven Seelsorgsdienst ausgeschieden
sind, beträgt somit bei 14 Todesfällen und 13
Pensionierunaen 27. Dazu kommen noch die
zahlreichen Erkrankungen, -die vielfach auch
Ersatzkrä-fte erforderlich machten. Im Ver-
gleich zu den früheren Jahren ist die Sterbe-
ziffer bei den Geistlichen im letzten Jahre
etwas zurückgegangen. Seit 1923 ist für das
letzte Jahr die niederste Sterbeziffer festzu-
stellen.
Der Säkularklerus wird in seiner Aufgabe
tatkräftig unterstützt von dem Ordenskle-
rus, der in 24 klösterlichen Niederlassungen
in der Erzdiözese vertreten ist (Benediktiner,
Cisterzienser, Dominikaner, Franziskaner, Ka-
puziner, Augustiner, Jesuiten, Redemptori-
sten, Pallotiner, Weiße Väter, Väter vom Hl.
Geist, Kamillianer und Herz-Jesu-Priester).
Im vergangenen Jahre kamen neu hinzu die
Dominikaner, die Ende Mai ihre Niederlas-


Dies und Das
Die Krone der britischen Post.
Die britischen Postbehörden wollen selbstver-
ständlich zum Regierungsjubiläum des Königs
auch neue Briefmarken her-ausgeben. Eine Rie--
senauflag-e dieser Marken ist bereits seit einiger
Zeit gedruckt. Eines Tages erschien nun aber
in einem Postamt ein Mann, und erklärte dem
diensttuenden Beamten: „Verzeihen Sie bitte,
Ihre Briefmarken sind zwar recht hübsch, aber
die Krone stimmt nicht." Große Aufregung im
Postministerium. Heraldiker wurden interviewt
und es stellte sich in der Tat heraus, daß die
Krone aus den Briefmarken falsch ist. Aus den
Marken werden Globus und Kreuz über dem
Kronreifen durch Bogen getragen, während die
offizielle Krone an deren Stelle gerade Streben
hat. Auch die Zahl der Perlen ist bei -den Mar-
ken eine andere als aus der richtigen Krons.
Allerdings ist die Krone, die die englischen
Briefmarken tragen, auch historisch. Es ist die

sung in Freiburg (Lud-wigstraß-e 49) be-
zogen und in Anwesenheit des Herrn Weih-
bischofs am Rosenkranzfest feierlich eröffneten.
In dem genannten Kloster befinden sich 6
Patres und 3 Laienbrüder. Mit dem neuen
Schuljahr (Ostern 1934) wurde auch die
deutsche Abteilung der Stella Maiutina in
Feldkirch nach St, Blasien verlegt und
in den ehemaligen von Abt Martin Ger-
bert II. errichteten Klosterräumen unterge-
bracht, womit eine weitere Jesuitenniederläs-
snng in der Erzdiözese verbunden ist.
An männlichen Kongregationen haben ihren
Sitz in der Erzdiözese die Kongregation der
Brüder der christlichen Schulen (Kirnach-
Villingen) und die „Kongregation -der Brüder
der christlichen Lehre" (Ettenheimmünster).
Außerdem wirken in d-er Erzdiözese die „Barm-
herzigen Vrüdüer" vom Mutterhaus Trier,
Montabaur und Waldbreitbach. Klöster und
Mutterhäuser von Frauenor -den und
weiblichen klösterlichen Gemeinschaften be-
stehen 17 in der Erzdiözese, deren Mitglieder
sich der Seelsorgshilfe, dem Unterricht der
weiblichen Jugend, der ewigen Anbetung, der
Pflege der Kranken und Altersschwachen, der
Betreuung d-er Kinder und anderen sozialen
und caritativen Aufgaben widmen. Außerdem
sind noch- Angehörige von 12 Kongregatio-
nen ans anderen Diözesen aus den verschie-
densten Gebieten des schulischen, sozialen und
earitativen Lebens in unserer Erzdiözese tätig.
Neu sind im vergangenen Jahre die Missi-ons-
Ben-ediktine-rinnen von Tutzing in die Erzdiö-
ezse gekommen, die im ehemaligen Priester-
hans in Weiterdingen ihre Niederlassung be-
gründet haben.

Krone des heiligen Eduard, -die aber für amt-
liche Zwecke, namentlich für heraldische, seit Edu-
ard VII. nicht mehr gebraucht werden darf. Edu-
ard VII. bestimmte kurz nach seiner Thronbe-
steigung, daß eine Krone neueren Datums für
Siegel, Briefmarken usw. benutzt werden sollte.
Die britische Post befindet sich jetzt in der un-
angenehmen Lage, den ganzen schon gedruckten
Markenvorrat einstampfen und neue Marken her-
ausgeben zu müssen, was viele Tausende von
Pfund kosten wird.
Mickey Maus maschinell.
Der berühmte amerikanische Mickey Maus er-
wächst ein gefährlicher britischer Konkurrent. Ein
Zeichner namens Ernst Shaw hat nämlich eine
Maschine erfunden, die das Zeichnen von Trick-
filmen ungeheuer erleichtert. Bei den berühm-
ten Mickey-Filmen sind ungefähr 10 000 sorgfäl-
tig gezeichnete Bilder notwendig, damit die ge-
zeichneten Figuren in einem Film von 7 Minu-
ten Dauer gleichmäßige Bewegungen zeigen. In
dem Atelier von Walt Disney ist daher ein gan-
zes Heer von erstklassigen Zeichnern beschäftigt.

Eine Maschine, die Mr. Shaw erdacht hat§
nimmt nun den Zeichnern die Arbeit fast voll-
ständig ab, wenn einmal die Hauptfirmen des
Films festgelegt sind. Dazu kommt noch, daß die
so schwer zu erzielende Uebereinstimmung zwin-
schen Bild und Ton bei dem Verfahren von Mr^
Shaw durch ein einfaches arimethisches System
erfolgt, so daß Shaw seine Filme mit ungelern-
ten Arbeitern Herstellen kann. Abgesehen da-
von, daß die Herstellung von Zeichenfilmen nach
der Shawschen Methode viel weniger Zeit in An-
spruch nimmt als nach der Disneyschen, betragen
auch die Kosten nur einen Bruchteil. Die briti-
sche Filmindustrie will nunmehr die Herstellung
von Zeichenfilmen in großem Maßstab in Angriff
nehmen. Dabei wollen die Engländer sich ihren
„Haupt-akteur" nicht wie die Amerikaner aus
der Tierwelt holen, sie haben vielmehr einen
typisch britischen Charakter erdacht, der unter
dem Namen „Andy" bald der ganzen Welt be-
kannt sein wird.
Die Welt und die Insekten.
Ein englischer Zoologe, Dr. Neave, vom
Reichsinstitut für Ethnologie, beabsichtigt -dem-
nächst einen sogenannten „Nomenclator Zoolo-
gicus" herauszugeben, d. h. ein Buch, -das Name
und Art sämtlicher bekannten Tiere der Erde
enthält. Die englischen Zeitungen behaupten,
daß seit Lennes berühmter Systems naturae
vom Jahre 1758 kein so umfassendes Werk erschie-
nen ist. Seit Lenne sind nun aber Millionen
neuer Arten entdeckt worden, so daß die Arbeit
Dr. Neaves noch umfangreicher sein wird als
die des schwedischen Gelehrten. In einem In-
terview, daß etwa jährlich 1000 neue Insekten-
arten entdeckt werden, daß die Insekten Afrikas
vermutlich erheblich mehr wiegen als alle ande-
ren Tiere zusammengenommen, daß Insekten sich
ständig von selbst neuen Bedingungen anpassen,
daß es Fliegen gibt, die in Öel leben können
und andere, die ihr Dasein in Pfeffer verbringen
usw.
KOO Jahre Grafen Courtenay.
Die Mitglieder der Familie Courtenay halten
demnächst einen Familientag anläßlich des 600-
jährigen Bestehens der ihnen gehörenden Graf-
schaft Denen ab. Das Haupt der Familie, der
Carl of Dieven, ist allerdings vor kurzem ge-
storben. Es ist auch in England sehr selten, daß
eine Grafschaft bezw. ein Grafentitel so lange
in ein und derselben Familie bleibt. Berühmte
Titel können nämlich auch verliehen werden, so
daß die Träger berühmter Namen in England
heute oft aus ganz anderen Familien stammen.
Die Courtenays gehören zu den ältesten Fami«
lien Englands. Sie sind bereits mit den Nor-
manen auf die Insel gekommen, woraus auch ihr
Name hindeutet (Anglisierung der französischen
Worte „court nez"). Mehrere Courtenays wa-
ren mit Mitgliedern britischer Königshäuser ver-
heiratet, und mindestens vier Courtenays sind
Anwärter auf den englischen Königsthron gewe-
sen. Ein Courtenay, Vetter Heinrich VIA., war
der Richter von Anna Voleyn.



KLLIiLSÄK Mr«««!«
Aomsn von ^rmLnclo pslscto V»1ck6»
Aerecdtlpte 1 leb ertrug un 6 aus ckern ?p«n1»cben von Asul» 5s«1mLnn
Oop^rl^lit Asrl Addier <L Co., 8erlin-2elilenckort

12) (Nachdruck verboten.)
Er erschien mir noch sonnverbrannter, noch
schwärzer als mn Abend. Er begrüßte mich
würdevoll und höflich, und nachdem wir em
Weilchen umhergeschlend-ert waren, drang er
i-n mich, ihn nach Hause z-u begleiten; denn er
wollte sich umkleiden. Mit wunderte d-as; denn
sein Anzug war weder naß noch schmutzig ge-
worden. Später erfuhr ich, daß er die Gewohn-
heit hatte, sich täglich drei- oder viermal um-
zukleiden nach den Vorschriften d-er höfischen
Eleganz.
Während wir seinem Hause zuschritten, das
nicht weit von -dem seines Schwagers lag, er-
zählte er mir, daß er eine Sammlung non
Stöcken und Pfeifen habe, ganz merkwürdige
Sachen, eine der größten Sehenswürdigkeiten
der Stadt, und er erbot sich liebenswürdiger-
weise, sie mir zu zeigen.
Er bewohnte ein kleines, hübsches Haus
Seine Frau öffnete uns die Tür und er sagte
lakonisch: „Ich komme mich umkleiden."
Wir gingen in sein Zimmer und sogleich
öffnete er die Schränke, in denen er die
Stöcke verwahrte. Es waren tatsächlich viele
und sehr verschiedenartige, und er führte sie
mir mit soviel Stolz und Vergnügen vor, daß
ich mich darüber noch mehr wunderte als über
ihrs Zahl und Verschiedenartigkeit.
Da öffnete sich die Tür einen Spalt breit,
und es erschien ein blondes Köpfchen. „Papa,
Mama läßt uns nicht zu dir, um dir einen
Kuß zu geben."
„Recht so; denn wir sind jetzt beschäftigt",
erwiderte -d-er Vater steif und schickte das Kind
mit einer Handbe-wegung fort.
Doch ich war -an die Tür geeilt und küßte
mit Vergnügen das Blondköpfchen; es war
sein reizendes Bübchen von sechs oder sieben
Jahren. Hinter ihm kam ein kleineres, eben-
falls blondes, und den Beschluß machte ein
Mädchen von etwa drei oder vier Jahren,
dunkel, mit großen Augen und schwarzen
Locken. Nie hatte ich schönere Kinder -gesehen.
Ich liebkoste sie alle und ganz besonders das
kleine Mädchen mit den wundervollen Samt-
augen. Aber sie waren schüchtern, und an-starr
aus meine Fragen zu antworten, sahen, sie.

ängstlich ihren Vater an. Der blickte streng
und verdrießlich -dr-ein; es schien ihn zu är-
gern, daß mich die Sammlung seiner Kinder
mehr interessierte als die jener Stöcke. Er
küßte sie anstandshalber, und als seine Fran
-gelaufen kam, sie zu holen, -sagte er mürrisch
z-u ihr: „Warum hast du sie hereingelassen,
wo ich doch -beschäftigt bin?"
„Sie entwischten mir, während ich dir ein
Hemd h-era-usnahm", erwiderte sie -bescheiden
und schob die Kinder aus dem Zimmer. Dann
setzte sie sich und wartete, bis ihr Mann mir
alle Stöcke -gezeigt hatte.
Schli-eßlch war er fertig, und da ich wußte,
wieviel ihm daran lag, machte ich viel Rüh-
mens von seiner Sammlung, was ihn sehr
zu frcue-n schien. Dann bat er, sich in meiner
Gegenwart umkleiden zu dürfen. Seine Frau
ging ihm dabei wie -der erfahrend-ste, aber
auch unterwürfigste KammeMener zur Hand.
Sie knöpfte i'b-m das Hemd zu, band ihm de
Krawatte, hockte auf dem Boden, um ihm dis
Schuhe zuzuschnüren. Von Zeit zu Zeit richtet"
er einen leichten Verweis an seine Frau.
Aber als er fand, daß an -der Weste ein
Knopf fehlte, war er starr vor Staunen und
warn seiner Frau einen so strengen Blick zu,
daß sie rot wurde.
„Ich weiß nicht, wie das zugegangen ist,"
stammelte sie.
„Macht nichts, macht nichts! Ich sage ja
o-ar nichts! Was bedeutet ein Knopf mehr oder
weniger?" uemerkte er mit sarkastischem Lä-
cheln.
„Aber Mann, um Gottes willen, sei dach
nicht so!" stieß sie gequält heraus.
„Hab ich dir -etwas gesagt?" schrie er da
wütend. Mathilde schwieg und begann -den
Knopf anzunähen. „Und wie soll ich denn sein,
sag!" fuhr er ebenso wütend fort.
Seine Gattin hielt den Kopf gesenkt.
Mit heroischer Kr-aftanstrengu'ng gelang es
ihm bald, sich zu beruhigen. Der Sturm legte
sich, die Wagen glätteten sich. Sabas gab das
Zeichen zun Aufbruch; aber vorher schickte er
seine Frau noch auf die Suche nach den Hand-
schuhen, dem -Stock, dem Taschentuch; er ließ
sich aus einem Zerstäuber mit Parfüm be-

sprengen, die Schuhe noch einmal abbürsten,
mit einem Kämmchen über den Schnurrbart
fahren. Mathilde flatterte nm ihn herum wie
ein Schmetterling, zupfte ihm Anzug und
Krawatte zurecht. Sie schien den Aer-g-er schon
vergessen zu haben und besah stolz ihren Mann
von allen Seiten. Und als er zum Abschied
-ihr in lässiger und gönnerhafter Weise unters
Kinn faßte, da blitzten ihn ihre Augen so
strahlend und triumphierend an, als sei sie
im liebenden Himmel.
Im Flur sprangen uns die Kinder entge-
gen und wollten sich aus -den Vater stürzen,
um ibn zu küssen; doch er hielt sie mit drohen-
der Gebärde zurück: „Nein, jetzt nicht! . . . .
Ihr würdet mich besabbern."
Ich- hingegen hatte keine Angst, schmutzig
gemacht zu werden, und küßte sie van Herzen,
um sie für die Zurückweisung zu entschädigen.
Vergebliches Bemühen! Sie ließen sich teil-
nahmslos von mir liebkosen, und ihre Augen
hingen an ihrem eleganten, s-o unfreundlichen
Papa.
Es war elf Uhr morgens. Die Straßen wa-
ren belebt. Tie Sonne strahlte in vollem
Glanze am Himmel, man atmete eine von
Duft erfüllte Luft, ein Zeichen, daß wir uns
in der Blumenstadt befanden. Alle Augenblicke
begegneten wir Dienstmädchen, die große
Sträuße und Blumenkörbe trugen, die ihre
Herrschaft ihren Freunden -schickte. In Valen-
cia sind Blumen ein so gebräuchliches Geschenk,
daß es fast einem Gruß gleichkommt. Als ich
diese Fülle von Nelken, Rosen, Lilien sah
mußte ich denken: Glückliche Stadt, in der
solch kostbares Geschenk so wenig bedeutet, daß
man es -alle Tage machen kann!
Gern wäre ich bis zum Essen durch die
Straßen geschleudert, doch Sabas fühlte sich
verpflichtet, mich zu einem Frühstückstrunk
einzuladen, und so gingen wir in ein Cafe
an: Platz d-er Königin.
Während wir ein Glas Wermuth schlürften,
zeigte sich Sabas gesprächig und mitteilsam
ohne jedoch sein -gewohntes steifes Wesen ab-
zulegen. Er sprach von seiner Familie und
seinen Freunden. Ich bemerkte bald, d-aß er
eins besondere Gabe hatte, die Dinge zu zer-
gliedern, einen scharfen Blick und sicheren In-
stinkt, die schwache Seite der Menschen und
Dinge zu erspähen.
Seine Schwester war — nach seiner Ansicht
—, e-ine kluge, liebevolle Frau v-on rechtlichem
mrd Mein. Empsn-den, aber sie hatte .einen

zu schroffen Charakter, widersprach -gern und
fehlte zuweilen gegen die Höflichkeit; es ge-
brach ihr an Anpassungsfähigkei-t, an einer
-gewissen Sanftmut, die die Fr-au unbedingt
haben muß. Kurz, obgleich im Grunde ein gü-
tiger Mensch, machte sie sich doch nicht be-
liebt. Wohl hätte ich nachdrücklich gegen eins
s-o lächerliche Behauptung Einspruch erheben
können; denn gerade ihr zugleich schüchternes
und eigenwilliges Wesen und ihre etwas
scheue Sprödigkeit hatten es mir angetan. Ich
unterließ es jedoch -aus Vorsichtsgründen.
Sein Schwager war ein bedauernswerter
Arbeitsmensch, großherzig, tüchtig als Kauf-
mann, aber ohne jede Menschenkenntnis. Alle
Welt täuschte ihn -und nutzte ihn aus. Sodann
hatte er ein so unbeständiges Temperament,
daß, kaum daß er ein Unternehmen mit Feuer-
eifer begonnen hatte, er es schon leid wurde
und an etwas anderes dachte. Diese.Veran-
lagung hatte ihn schon viel Geld gekostet. Der
Unternehmungen, in -die er sich eingelassen
hatte, -waren unzählige; einige davon wären
einträglich -gewesen, wenn -er sie zu Ende ge-
führt hätte. Aber kaum stolperte er über diL
ersten Schwierigkeiten, so warf er die Fl'nte
ins Korn und gab es auf. Beharrlichkeit hatte
er nur da bewiesen, wo sie ihm von Nachteil
war, nämlich bei den artesischen Brunnen.
Wiev'-el Geld hatte d-er Mann -durch dies ver-
hängnisvolle Unternehmen schon zum Fenster
hinausgoworfen! Das einzige Geschäft, das
ihn: wirklich Erfolg gebracht hatte, war die
Reederei, und die hatte er nicht selbst gegrün-
det, -sondern von seinem Vater geerbt.
Sein Freund Castell besaß reiche Kenntnisse,
wußte sich vortrefflich auszudrücken und war
ungeheuer reich, aber er hatte keinen Funken
Herz. Nie hatte er jemand Liebe erwiesen.
Emilio irrte sich ganz und gar, wenn er
glaubte, er erwiderte die leidenschaftliche Zu-
neigung und Wertschätzung, die er für ihn
hegte. „Aber man -darf diesen Punkt nicht bei
ihm berühren; denn er würde doch nur mit
Ihnen streiten, wie auch ich mehrmals m-:t
ihm gestritten habe. Wenn in -der Unterhal-
tung der Name Castell fällt, dann muß man
den Mund aufmachen, die Augen verdrehen
und in Verzückung geraten, als erschiene
-einem eine Gottheit des Olymp. Castell kennt
diese Schiväche meines Schwagers, bildet sich
etwas darauf ein und macht sie sich zunutze
.. AEtsttzung solM..^
 
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