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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 1.1890

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Behr, Carl: Ueber Dekoration und Möblirung unserer Wohnungen, [1]
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Moderne Möbel, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11255#0011

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Nr. 1.

Seite 3.

„Fachblatt für ^nnen-Dekoration".

Moderne Mödel.

Der von den werthen Lesern war nicht schon in der Lage, seine
Wohnung häuslich einzurichten und zu empfinden, mit wie viel
Schwierigkeiten dies verbunden ist?

Im ersten Moment scheint die Aufgabe leichter zu sein, als es
fich später ergibt, nämlich dann, wenn einmal der Moment der Ent-
scheidung gekommen ist, die Auswahl der Möbel treffen zu müssen.

Dem großen Publikum, welches :n den Möbeln nichts - anderes
sieht, als Gegenstände des Bedürfnisses, diesem Publikum wird die
Aufgabe gar nicht schwer sein; es kauft seine Möbel, die billig sind,
die reich verziert sind, und, nachdem es ohne Verständniß kaust, hat es
auch gar keine Bedeutung, wenn die Möbelstücke eines Zimmers in gar
keiner Harmonie zu einander stehen.

Auf dieses Publikum hat der Verkäufer selten einen Einfluß,
denn es macht in der Regel seinen eigenen Geschmack geltend.

Anders steht es mit demjenigen Publikum, das die Auswahl mit
Kenuerauge zu treffen hat, dem es nicht gleichgiltig ist, die Wohnung
mit geschmacklosen Möbeln vollzurüumen — und da beginnt eben die
Eingangs erwähnte Schwierigkeit, die Auswahl betreffend. Eine jede
Möbelniederlage ist ein offenes Geschäft, in welchem das große Publikuni
seine Einkäufe besorgt. Ein jeder Käufer hat andere Ansprüche, andern
Geschmack, und so muß ein jedes auf ein sortirtes Lager Anspruch
«rächende Geschäft — um allen Anforderungen des Publikums gerecht
zu werden — mit den verschiedensten Arten von Möbeln nach den ver-
schiedensten Geschmacksrichtungen versehen sein. Daß dem so ist, erfordert
das Geschäftsinteresse und die Konkurrenz ist es, unter welcher der gute
Geschmack leidet.

Von der Solidität der Möbel soll in diesem Artikel nicht die
Rede sein, sondern ganz allein vom Geschmack derselben. Dem großen
Publikum, das dessen gar nicht bewußt ist, was es kauft, kommt es
darauf gar nicht an, ob ein Kasten-Thürflügel eine, zwei oder drei
Füllungen hat, ob der Aufsatz gerade oder geschweift ist, ob in einer
Füllung geschnitzte, oder eingebrannte Linien-Ornamente sind, und so
dergleichen mehr;, es kauft, um gekauft zu haben, und weil der betreffende
Gegenstand zur Zimmereinrichtung gehört.

Es würde zu weit führen, dies eingehender zu analysiren und
wenden wir uns demjenigen Publikum zu, das für die Sache Verständniß
hat und mit guten: Geschmack die Auswahl treffen soll.

Handelt es sich um den Kostenpunkt gar nicht, kommt es auf
einen großern oder geringer:: Luxus gar nicht an, so ist bereits die

Auswahl für den Kenner bedeutend erleichtert. Dieses Publikum sucht
nicht die billigen Möbel, sondern will für sein Geld etwas Gediegenes
kaufen; allein es handelt fich hier in den meisten Fällen gerade um
dasjenige Publikum, dem es auf den Kostenpunkt ja ankommt und
das nebenbei auch Kenner ist.

Diese Leute gehören zu denjenigen Käufern, welche die herrschende
Geschmacksrichtung an: allerwenigsten befriedigen kann.

Der bescheidene Bürger hat eine bescheidene Wohnung und mir
fragen, ob unsere Niederlagen solchen Ansprüchen auch wirklich entsprechen
können? Die Antwort ist entschieden: Nein!

Wenn wir in eine Möbelhalle treten, so finden wir dort ein
Kunterbunt von allen möglichen Stilarten in Möbeln; wir finden dort
deutsche Renaissance, Barock, Gothik und noch viel Anderes — die
sogenannten modernen Dutzendmöbel.

Die in einem gewissen Stil korrekt durchgeführten Möbel sind zu
theuer und die Dutzendmöbel befriedigen das Kennerauge nicht.

Es fehle,: bei uns einfach gezeichnete, jedoch mit Geschmack
hergestellte Möbel, die durch die Einfachheit eben nicht theuer sein sollen.

Daß dieselben einer bestimmten Stilrichtung nicht angehören
müssen, ist selbstverständlich. Alan kann bei ganz einfacher Zeichnung
Geschmackvolles Herstellen, und in diesem Punkte wird uns ein jeder
vernünftige Möbelfabrikant beistimmen müssen. Geschnitzte, gepreßte und
eingebrannte Ornamente gehören nicht unbedingt zu den Schönheiten der
Möbel; ebensowenig die vielen Gesimsvorsprünge, Verkröpfungen der-
selben, Verdachungen, Aufsätze, Ballustraden und so dergleichen mehr.

Mit welchen: Unverstand hinsichtlich der Zeichnung heute Möbel
erzeugt werden, das braucht hier weiter nicht erörtert zu werden, genug
an dem, daß es endlich einmal an der Zeit wäre, von der Erzeugung
unserer modernen geschmacklosen Dutzendmöbel abzugehen und uns auf

— wenn auch nicht immer stilvoll, so doch korrekt gezeichnete Möbel zu werfen.

Wir sind davon überzeugt, daß diese einfachen Möbel einen eben-
solchen Absatz finden werden, als die gegenwärtigen Dutzendmöbel, und
haben dann zu dem Möbelgewerbe beigetragen, in demselben einen
Fortschritt gemacht zu haben.

Dieser Fortschritt wäre wünschenswerth, denn die Erzeugung der
Möbel soll kein Gewerbe von ungcschulten Tischlern sein, sondern von
tüchtigen Dekorateuren, Tischlern und Zeichnern gleichzeitig, die im
Stande wären, dieselbe zum Kunsthandwerk zu erheben.

Leider haben unsere Gewerbe-Zeichenschulen in dieser Richtung in:
Allgemeinen »och wenig auszuweisen, und es dürfte kaum ein anderer

— und der einzig richtige Weg - - übrig bleiben, als daß ein jeder

die Fülle und Feinheit von sich werfe und dafür freiwillig Armuth,
Beschränktheit und llnschönheit wähle. (I. v. Falles eigene Worte.)

Künstlitteraten dieser Art waren unseren Bestrebungen deßhalb
besonders gefährlich, weil dieselben als geistreiche Männer der Feder
dieselben unschwer angreifen konnten. Die Motive in der Kunst und
die Art, wie der Künstler dieselben realisirt, wurzeln mehr oder weniger
in reinem künstlerischen Gefühl; dieselben logisch zu begründen ist um
so schwerer, weil der nicht künstlerisch Empfindende diese Gründe nicht
mitsühlt und dieselben deßhalb auch nicht als vollgiltig ansieht.

Es klingt so logisch, wenn der Kritiker sagt: „Was sollen wir mit
Butzenfcheibenfenstern, wenn wir die prachtvollen Spiegelscheiben haben?
Die Butzenscheiben waren doch nur ein Erzeugniß der Zeit, in welcher
man nicht fähig war, große Glastafeln herzustellen." Gewiß ist das
wahr! aber es ist dabei stillschweigend: übergangen, daß die mit farbigen
Einsätzen unterbrochenen Butzensenstern einen eigenartig malerischen Reiz
haben und daß sie den ganzen Raum mit einem so stimmungsvollen
Farbenschimmer überziehen, daß der Bewohner desselben wohl kaum in
Zweifel sein kann, ob er diese Stimmung oder die zweifelhafte Aussicht
auf ein paar alte Mauern vorziehen soll. Ferner ist dabei verschwiegen,
daß man ja deßhalb durchaus nicht die Spiegelscheibe ein für alle Mal
zu verdammen braucht, und daß beide Arten der Fensterausbildung zu-
lässig sein können. Mit hundert anderen dieser Momente ist es ähnlich.
Es ist lächerlich einleuchtend, wenn der Schriftsteller sagt: „Was sollen
wir mit den überall herumstehenden Tellern und Gläsern, die nur
Staubfänger bilden und die nicht einmal zun: Gebrauch dienen können,
weil ihre Form das nicht zulüßt?" Ja! muß denn Alles auf den täg-
lichen Gebrauch zurückzuführen sein ? gibt's denn kein Bedürfniß nach Schön-
heit? Haben wir doch unsere Freude an diesen schönen Gefäßen, welche in

eben dieser Art schon vor vielen Jahrhunderten angefertigtwurden, zur Augen-
weide ihrer Besitzer und, wie ihre Form deutlich zeigt, nicht zum Gebrauch.

Aber Künstler und Fachleute sind selten des Wortes mächtig genug,
um gegen solche Abhandlungen öffentlich auftreten zu können und so
fielen die von: Publikum beklatschten äußerst logisch erscheinenden
Aeußerungen auf nur zu fruchtbaren Boden. Ueberall wurde Front
gemacht gegen den Butzenscheibenstil, auf der Bühne sogar wurde das
mit altdeutsch gleichbedeutend aufgefaßte Wort „stilvoll", welches doch
nichts mehr bedeutet wie „charaktervoll", ins Lächerliche gezogen.
Und was nicht ausbleiben konnte geschah: Von unternehmenden Fach-
leuten wurde die Stimmung zuerst benutzt um das Rokoko einzuführen.
Wie in der Geschichte diese Zeit auf die der Renaissance folgt, so war
auch heute dieser Sprung zu nahe liegend, um ihn nicht wieder zu
machen. Nur war der Unterschied der, daß früher die einleitende Zeit
des Barocks vorauf ging und somit den Stil vorbereitete und daß
dieser durchaus dem Wesen der ganzen Zeit entsprach, was doch wohl
heute nicht ganz der Fall sein dürfte. Ferner gehört aber zur Be-
herrschung dieser Kunstrichtung eine bedeutende technische Fertigkeit und
die Fähigkeit in ungezwungener flotter Weise zeichnen und modelliren
zu können; und da die Kunstjünger von heute wohl nur in kleiner Zahl
diese Fähigkeit besitzen, so mußten die durch ihr Nichtkönnen Aus-
geschlossenen nach anderen Stilarten suchen. Hierzu kan: noch, daß das
Rokoko, welches in seiner Zeit kaum 40 Jahre sich seiner Blüthezeit
erfreute, in der Gegenwart schon nach 3 oder 4 Jahren von vielen
Seiten wieder verworfen wurde; und da eine allgemeine Einigkeit über
den nun zu ergreifende:: Stil gar nicht versucht wurde, so wühlte sich
jeder Fachmann oder der ihn: bestellende Kunde jedesmal einen anderen
Charakter für seine Einrichtungen. (Fortsetzung folgt.)
 
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