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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 1.1890

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Die englische Gardine, deren Ursprung, Einführung in Deutschland und die gegenwärtige Lage derselben
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Seite 72.

Fachblatt für Innen-Dekoration".

Nr. 9.

Nie englische BavAne,

deren Ursprung, Vinfuyrung in Deutschland und die
gegenwärtige Vage dersetSen.

Von A. F.

nsere deutsche sogenannte „englische" Gardine kann mit Recht die
Bezeichnung englisch führen, indem die Heimath derselben Eng-
land ist. Der Hauptsitz dieses Artikels ist in Nottingham, woselbst ca.
1000—1500 Stühle in Betrieb sind. Kommissionäre übernahmen s. Z.
den Verkauf der ganzen Waare, überschwemmten damit nicht allein unser
ganzes Europa, soweit es ihnen möglich war, sondern sie besuchten auch
die übrigen zivilisirten Staaten. Diese Gardine fand also auch bei uns
Aufnahme, und zwar war es Anfangs der 70er Jahre. Obgleich die
Einführung derselben seitens unserer Großhändler bei den Wieder-
verkäufern mit vieler Mühe und großen Schwierigkeiten verbunden, so
war doch schon nach wenigen Jahren der Sieg über die „sächsische" I
Gardine zu verzeichnen. Die Fir-
ma Jacobp L Co. in Nottingham,
welche sofort merkte, welch' bedeu-
tendes Absatzgebiet Deutschs nid ev.
werden könne, erbaute Ende der 70er
Jahre eine gleichartige Fabrik in
Plauen i. V-, und kaum war diese
Fabrik errichtet, als solche auch schon
mit Aufträgen überhäuft wurde. Ka-
pitalisten unseres Voigtlandes, welche
den Aufschwung und die Nachfrage
dieses neuen Artikels sahen, gründeten
kurz darauf ebenfalls gut rentirende
Fabriken.

Wie es häufig zu gehen pflegt,
so kam es auch hier: Zu viele Un-
kundige machten es nach, und das
Ende vom Liede war, daß der
Artikel vollständig herunter gebracht
wurde. Damit nun auch die Gar-
dine von den weniger Bemittelten
gekauft werde, wurden billige Qua-
litäten erzeugt, und da eine Ma-
schine gerade das Doppelte von
dem billigen Zeug fertig bringt, als
wie in guter Waare, so kann man
sich denken, welche Massen von Maa-
ren hergestellt worden sind. Das
Angebot war größer als die Nach-
frage. Den Glanzpunkt bei der
billigen Waare spielt nun unzweifel-
haft die Appretur.

Das billige Zeug wird „auf
Verlangen" derart hergestellt, oder
besser gesagt: mit Stärke und sonst-
igen Mitteln beschwert, daß man
sein blaues Wunder darüber aus-
sprechen muß. Das Wunder wird
natürlich Manchem unerklärlich sein,
doch überlasse ich dieses der geehrten
Hausfrau, welche es sofort finden wird, wenn derartiger Plunder in
die Wäsche kommt. Darum rathe ich jeder Hausfrau, nur die besseren
Qualitäten zu kaufen. Dieselben enthalten prima gezwirntes Garn,
nehmen den Verschönerungsprozeß in der Appretur weniger in Anspruch
und halten bedeutend länger als 2—3 neue Garnituren von dem billigen
Zeuge.

Gegenwärtig sind in Deutschland etwa 300 Stühle bezw. Ma-
schinen aufgestellt, und wenn man bedenkt, daß ein jeder Stuhl etwa
2—300 Meter pro Tag fertig bringt, so steht man allerdings vor dem
Räthsel, wo und wie diese Unmassen von Maaren untergebracht werden.
Kein Wunder, daß der Artikel total heruntergebracht worden ist
und daß mitunter zu Preisen verkauft wird, welche den geringsten
Nutzen ausschließen. In Berücksichtigung ist ferner zu ziehen, daß ein
Stuhl ab England, wo solche gebaut werden, ca. 15—20 000 Mark

kostet, und bevor derselbe in Gang kommt, stellt er sich durch die be-
deutenden Frachtkosten usw., die damit verknüpft sind, noch um einige
1000 Mark höher.

lieber die Herstellung resp. Fertigstellung der Gardinen-Muster,
bis solche zum Verkauf gelangen, bringe ich später einmal einen aus-
führlichen Bericht. Auf den Absatz der Gardine zurückkommend, so
muß ich allerdings erwähnen, daß wir den Engländern bereits starke Kon-
kurrenz in Holland, Belgien, in der Schweiz und theilweise auch
in einigen anderen Staaten machen. Einige Fabrikanten versuchten
schon mit Amerika anzuknüpfen, doch fanden die Muster daselbst
keinen Beifall. Wenn wir auch mit den Preisen ziemlich mit Eng-
land zu konkurriren vermögen, so verlangt Amerika indes ganz andere,
und zwar sehr feine, leicht gehaltene Muster. Ich glaube, es dürste
die Zeit nicht mehr ferne sein, wo sich gewisse Fabrikanten dem ge-
wünschten Genre anpassen, und obgleich wir einen ziemlich hohen
Eingangszoll darauf haben, so wird sich solcher zum Theil wieder mit
unseren billigeren Arbeitslöhnen usw. ausgleichen.

Unsere sächsische Gardine ist er-
klärlicher Weise fast gänzlich von
der -Oberfläche verschwunden, und
auch die schwierige Gardine hat große
Verluste erlitten. Wenn auch die
Schweiz zu einem andern Genre,
nämlich zur Spachtel-Gardine über-
gegangen ist, so bringt letztere noch
lange nicht den Verlust des ursprüng-
lichen Fabrikats ein, indem die er-
wähnte Gardine durchaus aus Hand-
arbeit besteht und dieselbe zu theuer
kommt.

Anmerkung der Redaktion:
Vorstehende Abhandlung über die
Fabrikation gewebter Gardinen ent-
hält viel Beachtenswerthes unv zeigt
besonders, wohin das Prinzip „Billig
und schlecht" führt. Wir hielten
es für nothwendig, von einem
unserer Mitarbeiter noch die No-
tizen zu erbitten, welche diese spe-
ziell kaufmännischen Erörterungen
ergänzen.

Die Erfindung des Bobinet-Web-
stuhles fällt zwischen 1850 und
1860. Der Unterschied zwischen die-
sem und dem Jacquard-Webstuhl be-
steht darin, daß der Einschlag nicht
durch die Kattfäden gezogen wird,
sondern wie Sprossen einer Leiter er-
scheint, die mehr oder weniger dicht
zusammen liegen. Es ist also mehr
eine Knüpfarbeit innerhalb der
Kattsäden, als eine Weberei. Die
geschickte Patronirung ergiebt kleine
und große Löcher und verschiedene
Effekte, welche die Spitze täuschend
nachahmen. 1867 stellte die Wiener
Firma Dambölk L Faber, die in
Lettowitz bei Brunn solche englische Maschinen schon im Anfang der 60er
Jahre aufgestellt hatte, eine Vitrine mit gewebten Spitzen in Paris aus
und wurde dafür prämiirt. Seit 1865 hatte Herr Direktor Fr. Fisch-
bach, welcher von 1862—1870 in Wien lebte, die stilistischen Zeichnungen
für Dambölk L Faber entworfen und patronirt. Diese Muster fanden
seit 1870 durch sein Album für Wohnungsdekoration (Spitzengewebe)
weite Verbreitung. Es sind Fenster-Gardinen, Bett- und Tischdecken,
Altarspitzen und Sesselschoner.

Die gewebten Spitzeugardinen verdrängten immer mehr die appli-
zirten Kettenstichgardinen. St. Gallen hatte in solchen Gardinen früher
einen Umsatz von ca. 40 Millionen Frcs. Dieser sank 1882 bis auf
2—3 Millionen. Erst als die feineren Spezialitäten durch farbige Stores
auftauchten und die Cornely Bonnatz-Maschine größere Billigkeit erzielte,
hob sich der Umsatz wieder auf 8—-10 Millionen. Hervorragende Ver-

Figur 3t- Inlarsia--Wülluilg.

Ausführung gedacht in Ebenholz, sowie Birnbaum und Elfenbein als Einlage.
Entworfen von PH. Niederhöf er, Frankfurt a. M.
Herausgeber der Zeitschrift „Frankfurter Möbelbazar".
 
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