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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 1.1890

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Werner, H.: Die Gewebe und deren Verzierung, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11255#0063

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Nr. 7.

Fachblatt für Innen-Dekoration".

Seite 55.

Nie Bemeöe und Leven Verzierung.

Von H. Werner.

(Fortsetzung.)

N ^ar wahrend dieser Zeit das Pflanzenornament noch mannigfacher
Stilisirung unterworfen und nnt geometrischen und anderen
Verzierungen vermischt, so artete um die Mitte des 17. Jahrhunderts
bis zu Ende desselben diese Musterungsart immer mehr aus und an
Stelle der schönen Ornamentik des Mittelalters trat eine freie Auf-
fassung und naturalistische Behandlung der Zierformen. Mit dieser
Außerachtlassung der Gesetze für
wahre und richtige Verzierungs-
weise der Gewebe kam auch zu-
gleich die Anwendung von grelleren
Kolorits, welche man durch Bro-
schirung einzelner Parthien des
Stoffes herbeiführte. Die Fort-
schritte der Technik erlaubten ander-
seits noch eine verschiedenartigere
Bindung der Fäden wie bisher;
man fing an, dem Lüster der
Seide bei den mannigfaltigen
Bindungen große Bedeutung für
die Erreichung von früher nie ge-
kannten Effekten beizumesscn und
gestaltete die Gewebe durch Ver-
wendung von Gold- und Silber-
fäden noch prunkhafter. Die Lieb-
linge der damaligen Mode, die
Brüsseler und Alengon - Spitzen,
übten auch auf die Gewebe ihren
Einfluß aus und man ahmte sie
in diesen getreulich nach, wodurch
man sich von der richtigen Gewebe-
ornamentik noch um ein Beträcht-
liches mehr entfernte.

Der Barockstil prägte in seiner
Blüthezeit, Ende des 17. Jahr-
hunderts, auch dem Gewebe seinen
Karakter auf, der.harmonische Ein-
druck ging gänzlich verloren, die
Blumen im vollsten Naturalismus
gelangten zurHerrschaftund mannig-
fache Formen, wie: Vasen, aus
welchen Blumenbüschel hervor-
sproßten rc. wurden damit in
Verbindung gebracht, wie Stoffe
aus jener Zeit vielfach zeigen.

Das Rokoko brachte uns als erstes
Angebinde die sog. „Chinesereien",
welche sich durch mehr als eiu
halbes Jahrhundert auf der Ober-
fläche erhielten und ihr Gegenstück
an dem- „Japanesischen" unserer
Zeit gefunden haben, wenn auch
mit dem Letzteren ganz andereZiele
zu erreichen gesucht werden, wie mit
dieser damaligen Modethorheit.

Diesem zunächst folgte das so-
genannte „Muschelmotiv", welches
mit Blumenbüschel in Verbindung gebracht, regellos verstreut angewendet
wurde ; sodann spielte die Rose eine Zeit durch die Hauptrolle, welchen
sich die gestreiften Musterungen mit kleinen Vlumenbouguets, Guir-
landen rc. anschlossen, die Zeit der Regierung Ludwig XVI. kennzeichnend.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann ein kleiner
Rückschlag einzutreten, dem letzten Aufflackern einer verlöschenden Flamme
gleich, man suchte noch einige Erinnerungen an vergangene Zeiten fest-
zuhalten, die Granatblume zu benützen- nebstbei aber die nun einmal
gewohnten Blumen mit Genien, Emblemen, Medaillons, Bändern rc. zu
vermischen, um endlich in den langweiligen und fantasielosen Empirestyl

zu gelangen, welchen die Antike sich als Vorbild nahm, ohne damit
dauernde Erfolge zu erringen.

Was nun folgte, war die Zeit der Stil- und Geschmacklosigkeit,
welche bis zum Beginne der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertes an-
dauerte, wo sich allgemach die Anzeichen einer großen Umwälzung in
Allem und Jedem kundgaben, und deren sich auch Industrie und Kunst-
gewerbe nicht entziehen konnten.

So wären wir nun bei der neuesten Zeit, den letzten 4 Jahr-
zehnten, angelangt. Allseitig begann sich die Ueberzeugung Bahn zu
brechen, daß, wollte man Industrie und Gewerbe wieder auf eine so

bedeutende Höhe bringen, wie es
theilweise früher der Fall war, so
müsse man von dem Wege, welcher
zur ärgsten Geschmacksverrohung
führen mußte, gänzlich ablenken
und auf jene Ausgangspunkte zurück"
kehren, wo die Kunst im Gewerbe
ihre höchsten Triumphe feierte. So
wie man die Renaissance nnt dem
Studium der Antike einleitete und
niit dem dadurch gewonnenen Kunst-
gefühl und Verständniß für das
Wahre und Schöne den Grund zu
jener herrlichen Entwickelung aller
Künste und Techniken legte, welche
diese Zeit kennzeichnet, ebenso
müsse man nun auch eine Basis
schaffen, durch Studium der Antike
und den besten Vorbildern der
Renaissance, um so auf gleichem
Wege zu ähnlichen Ergebnissen zu
gelangen. Man begann nun die
in Museen und Privatkunstsamm-
lungen aufgestapelten Kunstschütze
an das Tageslicht zu ziehen und
sie als Vorbilder für Kunstgewerbe
und Industrien zu benützen.

Die Stoffsammlungen gaben
uns die reichste Ausbeute für die
Textilkunst. Alle jene Stilricht-
ungen, welche wir in unserem kurzen
geschichtlichen Rückblick in wenigen
Zeilen besprachen, aber der Kunst-
ausdruckvielerJahrhundertewaren,
kamen insbesondere in den Seiden-
geweben der Reihe nach in Anwend-
ung. Im Beginne beschränkte man
sich auf einfaches Kopiren der alten
Gewebe sowohl in der Zeichnung
und dem Kolorit als auch in der
technischen Herstellung; erst nach
und nach entwickelte sich eine freiere
Behandlung der gegebenen For-
men; man versuchte Neues zu
schaffen und dieser oder jener
Zeit sich in der Art anzupassen,
um so endlich in der Vollkom-
menheit einen Höhepunkt zu er-
reichen, der die Erzeugnisse der
Neuzeit auf gleiche Stufe mit
den besten Erzeugnissen der vergangenen Jahrhunderte brachte. Doch
derselbe Entwicklungsgang, welcher sich im Verlaufe durch Jahrhunderte
in all' seinen Theilen verfolgen läßt, und bei stetigen Fortschritten die
höchste Stufe erreichte, um dann wieder von Fall zu Fall von seinen
Errungenschaften-einzubüßen, schließlich aber in jenen argen Verfall zu
gerathen, dessen letzte Ausläufer bis in unser Jahrhundert reichen; —
eben denselben durchlief die moderne „Renaissance", unsere jüngste Kunst-
zeit, in wenigen Jahrzehnten, um zur hohen Stufe zu gelangen, und
von da, gleich ihrer Vorgängerin, theilweise rückfällig zu werden.

(Schluß folgt.)

Figur 19. Rolwko--Sirrschr8>tüche11.

Ausführung gedacht in dunkel Nutzbaum mit Gold belebt. Scheiben fassettirtes Krystallglas, innen
Glastafeln, LicRückwand mit Seidenplüsch ,frai!efarbig> ausgeschlageu. Entworfen von PH. Nieder-
hö»'er, Herausgeber vom „Frankfurter Modebazar" und „Kleine Möbel".
 
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