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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 1.1890

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Bötticher, Georg: Rokoko-Tapeten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11255#0194

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insbesondere der

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Erscheint

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I. Rayvgang. Marmftatzt, 25. Mlrtovev M0. Dummer 20.

Nachdruck unserer Original-Artikel ist nur mit unsrer Erlaubniß gestattet.

Molwlw^Daxeteu.

Von Georg Bötticher.

er in unseren Tagen die Musterkarte eines Tapetenhändlers durch-
blättert, der wird eine Menge buntfarbiger, schwerplastisch
und unruhig wirkender Muster von schnörkelhaftem Aufbau gewahr
werden, bei deren Anblick sich ihm die Frage aufdrängt: welche Art
von Leisten, welche Möbel, Bilder und Stoffe mögen im Stande sein,
gegen eine derartige Tapete (die doch als solche einen ruhigen Hinter-
grund für all' diese Dinge abgeben sollte) in der Wirkung aufzukommen?

„Das sind Rokokomuster. Ganz echt im Stil", sagt der Händler.
Aber bei aller Achtung vor dieser Autorität: solche Tapetenmuster kannte
die Stilepoche, die wir uns gewöhnt haben „Rokoko" zu nennen, nicht.

Wie zu jeder Zeit gab es auch im Rokoko — und bei der Pracht-
liebe der damaligen Höfe vielleicht in reicherem Maaße als früher —
die verschiedensten Arten von Wandbekleidungen: Gobelins, vergoldete,
gepreßte und bemalte Ledertapeten, Seiden- und Wollendamaste, bedruckte
Baumwollzeuge und Papiere in allen Behandlungsweisen, sogar mit
Wollstaub, aber der Genre, den wir heutzutage als „Rokokotapeten"
vorgelegt erhalten, dieser — zur Ehre des künstlerischen Geschmacks jener
Epoche sei es gesagt! — findet sich nicht darunter.

Die Kartuschen, die Muschelmotive, die Schnörkel und zerflätterten
Blumen, kurz all jene Dinge, die der Laie schlechtweg als Kennzeichen
hes Rokoko ansieht und von jedem Ziergegenstand jener Zeit fordert, sie
sind wohl der Plastik des Rokoko eigen, auf Tapetcnmustern finden sie
sich nicht vor oder doch erst zu einer Zeit, wo es mit dem Rokokoschen
zu Ende geht, und da nur in künstlerischer Anpassung an den Karakter
des Flachmusters, keineswegs in der grobplastischen Weise der modernen
Rokokotapeten. Tapetenmuster aus jener Epoche, welche die Formen der
Plastik auf den Stoff übertragen zeigen, sind von großer Seltenheit.

Die Blüthezeit des Rokoko aber hält streng auf Sonderung des
Plastischen und Flachen und erzielt gerade damit nicht die schlechtesten

ihrer Wirkungen. Man betrachte nur in den Zimmern des Bruchsaler
Schlosses die schönen einfarbig-rothen, blauen oder olivefarbenen Seiden-
damaste, welche die Wände schmücken, und beachte, wie reizvoll gegen
diese ruhigen, echten Wandmuster mit ihren breiten, gleichseitig entwickelten
Formen das Prickelnde Muschelschnitzmerk, das weiß und golden getönte
Stuckornament der Umrahmung in seiner scheinbaren Regellosigkeit sich
abhebt! Nicht diese nachahmenswerthen Seidendamaste, nicht die Tapeten
des Rokoko, nein, wunderlicherweise die geschnitzte und bemalte Umrahmung
derselben hat sich die moderne Tapetenfabrikation zum Vorbild ihrer
Rokokomuster genommen. Sie überträgt die anspruchsvolle Plastik der-
selben, die ja an Pen Füllungen, Pilastern, Simsen und Thüreinsätzen
der alten Rokokozimmer vortrefflich an ihrem Platze ist, mit allen Schatten-
und Lichteffecten, Farben- und Formenkontrasten auf die Wandfläche
und schafft damit Muster, die durch die Wucht und Unruhe ihrer Wirkung
für das Auge jedes formgebildeten Menschen einfach unerträglich sind
und ein Zimmer unleidlich machen müssen. Sie giebt gleichzeitig damit
den Stilpuristen, den Feinden des Rokoko eine neue Waffe in die Hand,
gegen die Geschmacklosigkeit und Stilwidrigkeit dieser „Verfallsepoche"
loszuziehen, indem sie den Karakter des Rokoko fälscht, des echten Rokoko
nämlich, welches die Eigenart des Flachmusters gegenüber der plastischen
Verzierung sehr wohl respektirte.

Wir haben gar nichts dagegen, wenn unsere Zeit die Rokokoformen
nicht archeologisch-treu reproduzirt. Wir sprechen uns vielmehr die volle
Berechtigung zu, und halten es für einen Akt schöpferischer Thätigkeit,
für ein Kennzeichen der Weiterentwickelung Unseres Stilgefühls, die
Formen, die uns von irgend welcher Stilepoche aus irgend welchem
Grunde ansprechen, nach den Bedürfnissen der Zeit beliebig umzumodeln
und unserer Dekorationsweise anzupassen. Nur darf dies nicht mit Ver-
letzung vollgültiger Stilgesetze geschehen, nur dürfen die Grundsätze, die
uns, bei strenger Prüfung, noch jetzt als gute, brauchbare erscheinen,
nicht auf den Kopf gestellt werden. Das ist aber bei den modernen
Rokokotapeten der Fall. Es giebt einzelne Ausnahmen — im
ganzen müssen wir die Auffassung unserer Zeichner und Fabrikanten von
diesem Theile der schönen und reichen Stilepoche als eine abgeschmackte
und unverständige bezeichnen.
 
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