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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 3 (1. Novemberheft 1899)
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Bartels, Adolf: Helene Böhlaus "Halbtier"
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Hart, Julius: Das "Fragmentische" Lesedrama, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0102

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drastisch charakterisiert: „Statt einer Seele oder eines Herzens hat er
ein kleines Ferkel in sich." Die Hossnung braucht man also noch nicht
aufzugeben, aber mit den halben und ganzen Tieren und den modernen
Buddhas als Gegensatz dazu und vor allen den ^rancks et beuux rnots
-geht es wirklich nicht. Man soll uns nicht eine so bedenkliche Gesell-
schaft, wie die Menagerie, welche die Böhlau in ihrem Roman zu-
sammengebracht hat, als typisch hinstellen wollen, man soll, wenn man
„den zwischen Mann und Weib anhängigen Prozeß" darstellen will, recht
hübsch überlegen, was man sagt. Denn mit der „unbesleckten weib-
kichen Empsängnis" i st es nun doch einmal nichts, verehrte Frau Böhlau,
und über die „männliche" und „weibliche" Arbeit können wir uns viel-
leicht in Fried en einigen. Vernünstige Männer geben den Frauen schon
lange zu, daß sie, wenn sie auch vielleicht noch kein Genie unter sich ge-
habt haben, doch große Talente sein können und sind, und wir meinen,
daß es auch etwas ist, männliche Genies zur Welt zu bringen, d. h. ihnen
einen guten Teil ihrer Gaben ins Leben mitzugeben, noch mehr aber ein
gesundes Geschlecht zu erziehen. Adolf Bartels.

Dns „fragmentartscbe" Lesedrama.

S ch l u ß.

Der Erkenntnis jener Theaterästhetik zufolge würde der dramatische
Dichter erst dann ein ganzer Künstler sein, wenn er sein Werk nicht nur nieder-
schriebe, sondern zugleich auch aufführte und darstellte, wenn er sein eigener
und sein einziger, wohlnerstanden, sein einziger Schauspieler und Dekorations-
maler wäre. Die seltsamen Jdeen von eineyr „Gesamtkunstwerk", die in unserer
Zeit umherspuken, könnten ja freilich einen unklaren Kopf zu der Behauptung
verlocken: „Das wäre allerdings sehr schön, wenn jeder große Dramatiker auch
zugleich sein eigener großer Schauspieler wäre, wenn er seine dichterischen Ge-
stalten auch zugleich schauspielerisch verkörpern könnte. Diese doppelte Begabung
bedeutet doch in der That ein höheres künstlerisches Können!"

Es handelt sich aber hier nicht darum, daß der Dichter, wie Shakespere
oder Moliöre, als Schauspieler in einer einzelnen Rolle seines Werkes auf-
tritt, sondern was in jener Schminktopfästhetik im tiefsten Grunde lauert,
ist eine durch und durch wahnsinnige Vorstellung. Um ein „ganzes" Kunstwerk
allein schassen zu können, müßte der Dramatiker sein einziger Schauspieler
und Bühnenkünstler sein und das Ganze der theatralischen Darstellung allein
durch sich zu stande bringen. Er müßte zehn, sünfzehn, zwanzig Personen zu-
gleich verkörpern, in demselben Augenblick als Weib in Weiberkleidern, und
als Mann in Mannskleidern, als Julie und Romeo, wirklich und wahrhaftig,
greifbar vor uns stehen. Er müßte also nichts mehr und nichts weniger als
ein Zaubcrer sein, als ein Proteus, der in hundert Gestalten zugleich vor unseren
Augen hin- und hergaukelte und sich unaufhörlich verwandelte. Ein solches
Wunderwesen wäre sreilich ein „ganzer" Künstler. Aber leider besinden wir
uns zur Zeit noch in einer menschlichen Welt, in der Niemand über solche
Kräfte verfügt. Und über eine solche Gesamtkunst können wir uns ja später
einmal auf dem Sirius unterhalten.

Jn den ersten Entwickelungszuständen theatralisch-dramatischer Kunst,
niedriger und chaotischer Verhältnisse, — in den Tagen einer barbarischen un-
Liusgegorenen Urtheaterkunst hat sreilich dieser „ganze Künstler" schon einmal

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