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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1899)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0255

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Gott, wir haben ja alle das Spiel so nötig! Dazu sind uns ja Tage des
Festes gegeben, datz wir einmal herauskommen aus der verdammten Trivialität
der Regelmäßigkeit I Darum verzehrt man ja am Weihnachtsfeste so viele
Hasen, Gänse, Enten, Karpfen, Kuchen, Aepfel, Nüsse, Mandeln, Rosinen, Datteln,
Feigen, Mandarinen und Apfelsinen mit den zugehörigen Getränken, weil selbst
die geregelte Verdauung etwas ist, was unterbrochen werden mutz, wenn es
nicht langweilig werden soll!

Jch kann euch sagen: ich hab' die Nützlichen geschmeckt. Die guten Eltern
waren keine Prosaiker, wenns nicht nötig war. Aber als ich vierzehn Jahre
alt war, da hieß es: „Der Junge braucht wohl kein Spielzeug mehr; der kriegt
diesmal was Nützliches." Natürlich stimmte ich stolzen Herzens zu; es war
ja noch vierzehn Tage vor Weihnacht. Jch, ein junger Mann von vierzehn
Jahren, sollte mir Spielsachen schenken lassen? — lächerlich! Als dann aber
die Bescherung kam, da waren wirklich keine da! Die jüngeren Geschwister
hatten niedliche Windmühlen und Baukästen und Hühnerhöse; aber ich hatte
nicht ein einziges Stück, sag'ich euch! Nur Kragen, Strümpfe, Halstücher und
so etwas. Geweint hab'ich sehr, aber nur nach innen! Zwei oder drei bitter-
heitze Tropsen. Nach außen hab' ich den jungen Mann aufrecht erhalten! Ein
paar Mal hab' ich mich wohl vergessen und heimlich mit den Sachen der
anderen gespielt; aber — du lieber Himmel — mit vierzehn Jahren ist man
auch noch ein recht junger Mann. Als ein jüngerer Bruder mich verspottete,
weil ich mit seiner Windmühle spielte, vermochte ich mit Hoheit und einem
großen Jungensbaß zu erwidern: „Du Dummbart, ich wollte nur mal sehen,
wie sie eingerichtet ist."

Wenn eure Kinder mit vierzehn, sechzehn, achtzehn Jahren und später
noch spielen mögen, so stört sie nicht. Denn das sind gewöhnlich die Menschen,
die draußen in der ernsten Welt ihr Werk angreifen mit sroher Kinderkrast
und mit naivenr Lächeln bewältigen, was dem Pedanten unnröglich schien.

Ja, wenn ich nicht fürchten müßte, mich grenzenlos zu blamieren, so
würde ich irgend einem verschwiegenen Freunde in aller Heimlichkeit gestehen,
daß mir bei den Weihnachtseinkäufen in den Spielzeugläden ost ganz weich
und kindisch ums Herz wird. Meme Fraa behauptet auch, daß ich immer
teurere Dmge kaufle, als ich mir zu Hause vorgenornmen hätte. Sie verschweigt
dabei allerdings, daß sie die geringere Ware so lange mitlerdig betrachlet und
die bessere so lange reizend findet, bis ich mich für das Reizende entscheide.
Das muß ich ja zugeben: die letzte Entscheidung überläßt sie mir. Wenn ich
also nickit Manns genug bin, so lrifft ja mich die Verantwortuag. Aber wenn
ich Raubtiere sehe, die wirklich wie Tiere aussehen, mit wirklichem Fell über-
zogen, und darunter einen Bären, der wirklich diesen charakteristischen Bären-
blick hat, diesen bonhommistischen Raublierblick, diesen blutdürstigen Honigblick,
eiuen Bären, der noch dazu größer nicht ist als der Elephant in derselben
Schachtel, vielleicht sogar noch elwas kleiner —: dann werd' ich eben schwach,
dann kann ich nicht widerstehen.

Und nun die Heimlichkeit, wenn man nach Hnuse kommt. Welch ein
Glanz umslimmert solch ein graupapiernes Packet! Fragende Wünsche, zweiselnde
Hoffnungen umslattern es wie Falier mit sarbenwechselnden Flügeln. Und
wie muß man sich zusammennehmen, um die Kiuder zu überzeugen, datz man
keine Ahnung habe, womit sie einen überraschen wollen!

Und näher rückt die Zeit! — „jetzt noch zehn Mal schlasen" ... „jetzt noch
neun Mal" ... Da kommen sie überall her auf weichen, weißen Schwingen,

2. Oezemberhest 1899

— 2».?
 
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