Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI issue:
Heft 8 (2. Januarheft 1900)
DOI article:
Göhler, Georg: Die neuesten grossen Chorwerke, [2]
DOI article:
Lose Blätter
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0319

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
punktiker in ihren Hochzeits- und Begrübnis-Motetten die Eigennamen
mit breiten Noten aus dem übrigen Satze heraushoben, so hat auch
Perosi einige ganz eigenartige Vertonungen von Eigennamen in dieser
Manier, die überhaupt sehr wirkungsvoll ist. Auch in der alten kolo-
ristischen Technik verzierte Schlußkadenzen gibt's. Der Komponist verwertet
eben alles, aber nicht tendenziös, auch nicht steif und einseitig, sondern
mit unbewußter Naivetät. Daß er aber auch aus eigenem Jtaliener-
Blute etwas zu geben hat, zeigen Abschnitte, wie: l^issnre^iove cii
Tu22uro, Kl.-A., S. — 2s, l^is. cki Olüsto, S. 30—3st und 67—70.
Jm letztgenannten Passus ist das überströmende „Rabboni" mit dem
„Alleluia" des Engelchors von einer genialen Ursprünglichkeit. An-
gesichts der hier zitierten Stellen, denen sich noch einige anreihen ließen,
begreist man auch den Erfolg der Werke, der natürlich nach Aussührungen
durch Jtaliener zu beurteilen ist. Unsere Deutschen sind viel zu korrekt
und akademisch. Werden doch auch unsere „Meister" natürlich das aus dem
Lazarus zitierte Gespräch der Martha mit Christus und ihr Glaubens-
bekenntnis theatermäßig nennen und in gerechtem Stolze aus ihre Doppel-
Fugen sich mit dem üblichen „Jch danke dir Gott" am Altare der Kunst
bekreuzigen. Wir können nur wünschen, daß der deutsche Nachwuchs,
der von diesen Pharisäern seine Technik gelernt hat, nun auch auf eigene
Faust, ob bei den Jtalienern, ob aus dem Volkslied oder sonst woher,
Sang- und Klangfreudigkeit lernt und nicht vergißt, daß aller Kunst A
und O künstlerischer Geist ist. Daß der dem großen Chorwerk zur Zeit
sast ganz sehlt, ja daß sogar das Bewußtsein dasür geschwunden ist,
daß auch dieses ein Kunstwerk, sogar eins der höchsten ist, mußte hier
leider konstatiert werden. Wiedergewinnen können wir diesen Geist
nur, wenn wir mit ihm zugleich der Freiheit und Wahrheit Raum
geben und auch in Chorwerken einen Stil pslegen, der sich aus der
Kunstsorm selbst und einer in Ausbau und Sprache echt dichterischen
Grundlage ergiebt. Entsagen wir dazu aller Schablone und lassen wir
die ganze Fülle der hier möglichen, bereits in der Einleitung bezeichneten
Arten sich ungehindert selbständig entsalten: dann erst wird diese sür
die gesamte Kunst und Kultur so eminent wichtige Kunstsorm wieder die
Bedeutung gewinnen, die ihr zukommt.

Mögen dazu die Geister Händels und Liszts ihren Segen geben!

Georg Göhler.

Lose Dlätter.

Gedichte von L^ermann Lingg.

Vorb emerkung. Am 22. Januar ist Hermann Linggs achtzigster Ge-
burtstag — es wäre übel nicht um ihn, aber um den Kunstwart bestellt, träten
nicht auch wir zu seinem Ehrentage vor ihn. Als die Jungen in der Literatur
' reoolutionierten, wurden ste bekanntlich einseitig, mußten das vielleicht
werden, und manche unter den „Alten" haben darunter zu leiden gehabt. Man
hat sichs angewöhnt, auch von Lingg gleichgiltig zu sprechen, sei's, weil man
ihn nicht verstand, seis weil man ihn einfach nicht kannte, und Richard M.
Meyer z. V. gedenkt auf den tausend Seiten seiner „Deutschen Literatur des
l9- Jahrhunderts^ kaum mit einigen Zeilen der Hermann Linggschen Lyrik,

2. Ianuarheft 1900
 
Annotationen