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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 4 (2. Nevemberheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0180

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Verinischtes.

* Urheberrechtliches.

Ja.die „Deutsche dramatischeGcsell-
schaft" in London ist naiv. Sie schreibt
in ihrem Prospekte klar und schlicht:
„Da die Literatur-Konvention zwischen
Deutschland und England die Auf-
führung jedes Stückes für geschlossene
Vereine freigibt, ist die Deutsche dra-
matische Gesellschast in der angenehmen
Lage, ihre Repertoirebildung durch
keinerlei Beschränkung beeinflußt zu
sehen; ste kann für ihre Mitglieder
ausnahmslos jedes dramatische Werk,
ohne Rücksicht darauf, dah ein solches
Stück von anderer Seite zur öffent-
lichen Aufführung crworben wurde,
zur Darstellung bringen." Wirklich,
das heißt zu deutsch bcinahe: da man
in diesem Falle dem Dieb durch die
Finger sieht, warum sollten wir nicht
mausen?

Also, es ift naiv — aber das „Neuc
Wiener Journal", das sich über die
Sache ganz schrecklich entrüstet, ist
damit auch naiv. Der Sinn des Ur-
hebcrrechts, wie ihn ein anständiger
Mensch auffassen muß, ist wohl von
den Londonern verletzt wordcn, aber
die Theaterschriftsteller, die hier in Fragc
kommcn, können diesc „Schädigung^
wirklich aushalten: sie werden von des
hlg. Kapitalismus Gnaden durchs Ur-
heberrecht ohnehin so unverhältnis-
mäßig beoorzugt, daß sie die Einbuße
der vielleicht 50 M. aus London bei
jedem Hunderttausend jnhrlich, das
ihnen bleibt, verschmerzen könncn.
Warum abcr sind noch immer alle
Zeitungen über die Ungcrcchtigkeiten
dieses Urhebcrrcchtes selber
stumm? Heute ein neues kleines Bci-
spicl dafür, wie cs sich der Verbreitung
gediegener Poesie im Volke entgcgen-
stellt. Eine sehr bekannte Vereinigung
von Kunft- und Volkssreunden brachte
vor einiger Zeit die meisterhafte Er-
zählung eines bcrühmtcn toten Dichters
uni ein Billiges als Volks- und Jugend-
Auiistwart

buch in den Handel. Der Erfolg zeigte,
wie sehr der bisherigc hohe Preis die
Verbreitung gehindert hattc: 25000
Exemplarc waren in kurzer Zeit ver-
kauft, unsrerküiiftlerischcnVolksbildung
war unbedingt ein Dienst crwiesen
und sür die Erben jcnes Dichters fiel
ein Honorar ab, das immcrhin wesent-
lich höher sein dürfte, als die erste
Entschädigung für jene Novelle zu
seincn Lebzeiten- Aber die Horstellungs-
kosten warcn etwns zu knapp berechnet
gewesen, sollten andrcWerkedes Dichters
auf gleiche Weise verbreitet werden, so
stellte sich ein Nachlassen vom Honorare
scitcns der Erben als nötig hcraus.
Und nun: der Vertreter der Erben
schrieb: „Da wir nicht wohlhabend sind,
konimt es mir darauf an, aus dcn
Sachen mcines Vaters Geld zu ge-
winnen." Deshalb hab' er dcm Ver-
leger geschrieben, daß er „unter dicsen
Umständen kcin Jnteresse an der Sache
habe. Auf dicsem Standpunkte stehe
ich auch noch." Also muß der Plan
aufgegebcn werdcn — der Herr Sohn
des Dichtcrs hat „kein Jntcresse
daran".

Gibt hier das Urheberrccht zu vicl,
so gibt es uach nnderer Scite zu wenig.
Das zeigt ja ani cinfachstcn cin Blick
auf die Witwcn Hebbels und Otto
Ludwigs: sie habcn auf keinen Pfcnnig
mehr von den Erträgnisscn der Werke
ihrer toten Gattcn ein Necht. Bald
ist auch Mörike dreißig Jahrc tot, dann
gcsellt sich scinc Witwc zu ihnen, also
wahrscheinlich auch wieder gerade dann,
wenn ihres Gatten Kunst anfangen
wird, populär zu wcrdcn. Blcibt einer
lange am Leben, kann er sclbst langc
helfen, so hilft auch das Urheberrecht
länger, stirbt er jung, gcrade dann
vcrsagt es cher. Schrcibt einer leicht
eingüngliche Sachcn für hcute und
morgen, die übermorgcn Makulatur
sind, so vcrdient er bei Lcbzcitcn.
Schrcibt ein andrer Wcrke für Jahr-
hundcrtc, die also erst langsam sich
durchsctzen könncn, so mag cr niit dcn
 
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