Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1900)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Gabriele D'Annunzio und sein "Feuer": auch eine Weihnachtsbetrachtung zur deutschen Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0285

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kunst gebildetes Auge. Dazu ist „in seinem Jnnern", wie er von sich selbcr sagt,
„die beständige Genesis eines höheren Lebcns" ivahrzunehmen, „in dem alle
Erscheinungen sich verwandeln wie durch die Kraft eines Zauberspiegels".
Das heißt, er weiß dem sein Angeschauten auch von seinem Seelcngehalt mit-
zuteilen- Da scheinen ihm denn die Euganeischen Hügel „nächtlich blau und
ruhig" dazuliegen, „wie die im Abendfrieden zusammengcfalteten Flügcl der
Erde". Jn der Art, „wie die starken und wildgeordneten Haare der Foscarina
ihre reine Stirn umgeben", liegt ihm „etwas von der Ungeduld der Flügel".
Anderseits besitzt D'Annunzio die Fähigkeit, psychologische Zustände in cinc
Reihe von Bildern „umzuwerten", Stimmungen in Anschauungen zu übersetzen.
Die Gedanken dor Heldin Foscarina sind „abgerissen" und werden „von dcr
Bangigkeit durcheinandergewirbelt, wie die Pslanzen und Steine, die dio Fluß-
strömung mit sich reißt". Die blinde Seherin fühlt, wie die Liebenden in ihrer
Gegenwart „die Blicke durch ihren regungslosen Schmerz auf einander heften
wie durch eine zerbrechliche Krystallscheibe". Stelios Geistesgegenwart „schwankt"
vor der inneren Anteilnahme dcr Menge „wie unter dem Anprall einer starken
Woge", und „das Licht seines Gedankcns erlischt, wie cine Fackel beim Wehen
des Windes". Dabci ist diese seine Jnnenwelt von einem sensitioen Lebcn
erfüllt, das nicht nur den kompliziertcsten Nervenvibrationen mitzitternd zu
folgen vermag, sondern sich hin und wieder auch zu einem hinreitzcnden
Schwung des Empfindens erhebt, wie am schönsten und kräftigstcn wohl die
folgende Schilderung einer Abendstimmung in Venedig kund thut:

„Von San Giorgio Maggiore, von San Giorgio dei Grcci, von San
Giorgio degli Schiavoni, von San Giovanni in Bragora, von San Moisü, von
der Salute, von der Erlöscrkirche, und nach und nach aus dem ganzen Bereich
des Evangelisten, von den äutzersten Türmen der Madonna Dell'Orto, von
San Giobbe, von Sant' Andrea antwortcten die ehernen Stimmen, vermischten
sich zu einem einzigen gewaltigen Chor, breiteten über die stummc Vcrcinigung
von Stein und Wasser eine einzige mächtige Kuppel aus unsichtbarem Metall,
die in ihren Schwingungen das Funkcln der ersten Sterne zu zeugen schien.
Eine unbegregzte ideale Grötzo verliehen die heiligcn Stimmen der Stadt deS
Schweigens in der Abendreinhcit- Ausgehend von den Zinnen der Tempel,
von den schroffen dem Seewind gcöffneten Zellcn sprachen sie zu den bangendcn
Menschen die Sprache der unsterblichcn Menge, die die Dunkelheit der tiefen
Kirchenschiffe jetzt barg oder das slackernde Licht der Votivlampen geheimnis-
voll bewegte; sie brachten den vom Tagewerk erschöpften Geistern dic Botschaft
der überirdischen Wesen, die ein Wunder verkündeten oder eine auf den Wändcn
geheimer Kapellen, in den Nischen der inneren Altärc dargestellte Welt ver-
sprachen. Und alle die Erscheinungen der trostspendcndcn Schönheit, von dem
einstimniigen Gebct heraufbeschworen, erhoben sich auf dicsem gcwaltigen,
klingenden Brausen, sprachen in dicsem schwebcnden Chor, bcstrahlten das
Angcsicht der Zaubernacht."

Auch findet sich bei D'Aununzio eine Anzahl Bemerkungen, die von cinem
künstlerisch fein empfindenden und gebildcten Gciste zeugen. So, wenn er den
Reiz der Farbe schildert: „Und diese Künstler schaffen mit eiiiem Mittel, das
in sich selbst ein jubelndes Mysterium ist, mit der Farbe, die die Zierde der
Welt ist; mit der Farbe, die die Kraft dcs Stoffes scheint zur Lichtwerdung."
Oder wenn er, allerdings als rciner Aesthet, davon spricht, wie „jcder Mann
von Jntellekt heute wie immer seine schöne Fabel im Leben schaffen kann". Man
mützte in das wilde Gewühl des Lebens mit demselben phantastischen Geist
Runsiwart

2Sb
 
Annotationen