werden; der moderne Mensch mit seinem Zweifel, seinen Hosfnungen und
Plänen bietet ihn in reichster Fülle dar. Davon ein andermal; hier
haben wir uur zu fragen, worin die so motivierte Annäherung der
Künste besteht?
Fangen wir bei der Poesie an. Welchen Sinn haben denn die
seitenlangen szenischen Anmerkungen, die bis ins kleinste gehenden Be-
schreibungen eines Zimmers, einer Toilette, eines Gesichts im modernen
Drama? Wie lange dauert es, bis ein moderner Roman überhaupt
wohl mit seiner Handlung einsetzen kann I Tausend Einzelheiten des
Milieus, zahllose Winke und Hinweise gehen ihr voran. Jst es aber
einmal so weit, so erstarrt die Handlung, kaum begonnen, vou neuem.
Eine Geste muß gekennzeichnet, eine Haltung beschrieben, ein Lächeln
geschildert werden. Fortwährende Vergleiche, aus allen Windrichtungen
hergeholt, müssen dazu helfen; unglaubliche Neologismen dienen dem
gleichen Zweck. Es ist, als wenn mau einen Haufen Sand in fließendes
Wasser schütten wollte: erst gibt es eine trübe, dicke Flut, dann einen
Brei, endlich versandet der Bach in einem dicken Erdklumpen. Lessing
hat gut raten, Beschreibung müsse poetisch in Handlung aufgelöst sein:
was heute an Schilderung alles gcgeben wird, kann einfach um seiner
Masse willen nicht sließcnd werden. — Und warum diese Häufungen?
Es sollen malerische Wirkungen erzielt werden. Unsere jungen Dichter
lechzen nach Farben und Bildern. Sie muten dem Leser nichts mehr
zu; der Armut seiner Phantasie wollen sie dnrch den Ueberschwall der
ihren abhelfen. Zu Shakesperes Zeiten genügte auf der Bühne ein
Schild, und der Schauspieler wie der Zuschauer hatten eine großc Auf-
gabe. Heute bewegen diese sich in eiuem Netz von Vorschriften, die sie
verwirren und ihre Phantasie um den Rest von Jnitiative bringen.
Warum? frage ich noch einmal. Es ist eine Art Wille zur Macht. Der
Dichter zwingt alle, die sich mit ihm beschäftigen, so zu sehn, wie er
sehn will. Sein Bild von der Handlung und den Menschen ist das
allein gültige und soll überall das gleiche werden. Sein Motiv zu dieser
Tyrannei kann ein berechtigtes, weil künstlerisches sein, es ist aber oft
genug nur versteckte Furcht. Gar manche unserer modernen Stücke können
durch ihren Gedankengehalt nicht bestehn; gar mancher Roman vermag
von seinem geistigen Reichtnm allein nicht scin Dasein zu fristcn. Da
hilft das Drum und Dran die Mängel klug zu verdecken. Leser und Zu-
schauer halten sich an die Form, die Ausstattung, und fragen sich nicht,
was ihnen im Grunde dieses moderne „Knnstwerk" erträglich machte.
Jm Roman ist dem Dichter sreilich diese Feigenblattmethode weniger
günstig, eben weil die Spekulation auf die malerische Wirkung auf der
Bühne durch Anschauung glücklich unterstützt wird, im Roman aber
kläglich zu scheitern pflegt.
Ein anderes Kennzeichen moderner Redekunst ist die Tendenz zur
Aufhebung des Wortes. An Stelle scharfer Begriffe tritt ein allge-
meinerer Ausdruck. Dann ist auch er noch nicht weit genug: der Satz
wird durch eine Reihe von Punkten plötzlich abgebrochen. Oder es folgen
auf ein Wort drei Linien Gedankenstriche. Auf der Bühne sitzen sich die
Leutchen in Sesseln gegenüber und schaukeln sich schweigend oder gucken
sich an, stumm wie Fische — hie und da wird ein Wörtchen laut, wie
ein Vogelruf in der Wüste, ein Wegweiser nach dem Unendlichen. Man
t- Ianuarheft tdM
Plänen bietet ihn in reichster Fülle dar. Davon ein andermal; hier
haben wir uur zu fragen, worin die so motivierte Annäherung der
Künste besteht?
Fangen wir bei der Poesie an. Welchen Sinn haben denn die
seitenlangen szenischen Anmerkungen, die bis ins kleinste gehenden Be-
schreibungen eines Zimmers, einer Toilette, eines Gesichts im modernen
Drama? Wie lange dauert es, bis ein moderner Roman überhaupt
wohl mit seiner Handlung einsetzen kann I Tausend Einzelheiten des
Milieus, zahllose Winke und Hinweise gehen ihr voran. Jst es aber
einmal so weit, so erstarrt die Handlung, kaum begonnen, vou neuem.
Eine Geste muß gekennzeichnet, eine Haltung beschrieben, ein Lächeln
geschildert werden. Fortwährende Vergleiche, aus allen Windrichtungen
hergeholt, müssen dazu helfen; unglaubliche Neologismen dienen dem
gleichen Zweck. Es ist, als wenn mau einen Haufen Sand in fließendes
Wasser schütten wollte: erst gibt es eine trübe, dicke Flut, dann einen
Brei, endlich versandet der Bach in einem dicken Erdklumpen. Lessing
hat gut raten, Beschreibung müsse poetisch in Handlung aufgelöst sein:
was heute an Schilderung alles gcgeben wird, kann einfach um seiner
Masse willen nicht sließcnd werden. — Und warum diese Häufungen?
Es sollen malerische Wirkungen erzielt werden. Unsere jungen Dichter
lechzen nach Farben und Bildern. Sie muten dem Leser nichts mehr
zu; der Armut seiner Phantasie wollen sie dnrch den Ueberschwall der
ihren abhelfen. Zu Shakesperes Zeiten genügte auf der Bühne ein
Schild, und der Schauspieler wie der Zuschauer hatten eine großc Auf-
gabe. Heute bewegen diese sich in eiuem Netz von Vorschriften, die sie
verwirren und ihre Phantasie um den Rest von Jnitiative bringen.
Warum? frage ich noch einmal. Es ist eine Art Wille zur Macht. Der
Dichter zwingt alle, die sich mit ihm beschäftigen, so zu sehn, wie er
sehn will. Sein Bild von der Handlung und den Menschen ist das
allein gültige und soll überall das gleiche werden. Sein Motiv zu dieser
Tyrannei kann ein berechtigtes, weil künstlerisches sein, es ist aber oft
genug nur versteckte Furcht. Gar manche unserer modernen Stücke können
durch ihren Gedankengehalt nicht bestehn; gar mancher Roman vermag
von seinem geistigen Reichtnm allein nicht scin Dasein zu fristcn. Da
hilft das Drum und Dran die Mängel klug zu verdecken. Leser und Zu-
schauer halten sich an die Form, die Ausstattung, und fragen sich nicht,
was ihnen im Grunde dieses moderne „Knnstwerk" erträglich machte.
Jm Roman ist dem Dichter sreilich diese Feigenblattmethode weniger
günstig, eben weil die Spekulation auf die malerische Wirkung auf der
Bühne durch Anschauung glücklich unterstützt wird, im Roman aber
kläglich zu scheitern pflegt.
Ein anderes Kennzeichen moderner Redekunst ist die Tendenz zur
Aufhebung des Wortes. An Stelle scharfer Begriffe tritt ein allge-
meinerer Ausdruck. Dann ist auch er noch nicht weit genug: der Satz
wird durch eine Reihe von Punkten plötzlich abgebrochen. Oder es folgen
auf ein Wort drei Linien Gedankenstriche. Auf der Bühne sitzen sich die
Leutchen in Sesseln gegenüber und schaukeln sich schweigend oder gucken
sich an, stumm wie Fische — hie und da wird ein Wörtchen laut, wie
ein Vogelruf in der Wüste, ein Wegweiser nach dem Unendlichen. Man
t- Ianuarheft tdM