Lhcater.
»Deutschen Adel« dem deutschen Publi-
kum noch einmal anzuschmeicheln, stclle
ich noch diesen vierten Vand klcinerer
Erzählungen zusammen. »Regierungs-
rat Wunnigel« wußtc wohl schon besser
allein für sich zu sorgenl Die Stücke
sind in dcn Jahren 1S7Z, 1876 und 1877
geschrieben worden und erleben alle
drei hicr ihre zweite Auflage.« — Das
ist dic ganze Vorrede, aber sie enthält
einen schweren Vorwurf für das ge-
bildete Dcutschland. Jn 25 Jahren
die zweite Auflagel Und das bei
einem Dichter, dessen Werke in keinem
deutschen Hause fehlen dürftenl"
Das „Berliner Tageblatt"' hat voll-
kommen Necht: es ist eine Schande,
das; cs so steht. Nur wär' es schön,
wenn das verehrliche Organ auch über
die Gründe dieser Erscheinung eiwas
sagte. Wir wollen ihm einhelfen: was
macht in deutschen Landen den „Nuhm",
soweit er Geld einbringt? Zum größten
Teile die Tagespresse, — darin wissen
wir uns mit Herrn Mosse vollkommen
cinig. Von welchen Schriftstellcrn abcr
wird beispielsweis cben im „Berliner
Tageblatte" gesprochen? Jeder, der's
kennl, wird mir bestätigen — vor allem
natürlich von Lcuten wie Naabe, der
ja cinmal darin „der deutschc Dickens"
genannt worden ist I Oder doch nicht?
Jn Wahrheit bcdeuten Notizen wie
diese an solcher Stelle die widcr-
würtigste Heuchelei, die sich denken
läßt. Denn auf eine Erwähnung
eines Raabe kommen in der „ver-
breitctsten liberalen Zeitung Deutsch-
lands" reichlich zwanzig, die cinem
Sud erma nn und dreitzig, die eincm
Oskar Blumenthal gelten, wäh-
rend der Hauptraum des übrigcn
Fcuilletons dem Kulissen- und Atelicr-
klatsch gewidmct ist. Und früher war
das alles noch schlimmer! Für dic
Thatsachen, die das „Berliner Tage-
blatt" gerührt beklagt, kann sich Raabe
vor Allem eben beim „Berlincr Tagc-
blatte" und seinesgleichen bedanken.
* Berliner Theater.
Jm „Deutschen Theater" gab es die
neue Dichtung Gerhart Haupt-
mann s. Arno Holz hat einmal aus-
gesprochen, dah nach seiner Ansicht der
Fall Hauptmann ein tragischer
Fall sei, und er scheint Recht zu bc-
halten. Es schcint wirklich, datz Haupt-
mann von seinen unbesonnenen
Freunden in eine Stellung gebracht
ist, in der cr sich — selbst in den
Augen seiner unbcsonncnen Freunde —
auf die Dauer nicht wird halten können.
Der Fall ist auch insofern tragisch, als
der Held — also Hauptmann — immer
wiedcr unsere menschliche Sympathie
erringt, weil er immcr wieder über
das bereits Geleistcte hinausstrebt.
Das thut er auch im „Michael Kramer",
seinem letzten Drama. Er führt sein
Publikum etwas irre, wenn er die
Dichtung ein „Künstlerdrama" nennt.
Der Konflikt ist ein rein menschlicher
Konflikt zwischcn Vatcr und Sohn;
Kramer hättc obensogut Bauer scin
können, wie er Maler ist. Er sieht in
seincm vcrwachscnen Sohn, den die
körperliche Mihgestalt hämisch und
boshaft gemacht hat, einen grotzen
Künstler. Er hat durch Strcngc ver-
sucht, ihn bei dcr Arbeit und beim
Ernst des Lcbcns zu halten — es ist
ihm nicht gelungen. Er war vielleicht
z u streng, und so findet er nur ver-
schlossene Züge, als er endlich seinem
Sohn die offene Freundschaft anbietet.
Die Beiden kennen sich nicht mehr, und
darin liegt die eigentliche Tragik der
Dichtung. Jm lctzten Akt nun hat
Hauptmann cine tragische Rcinigung
versucht. Der Sohn endet durch Selbst-
mord, Hauptmann versucht über das
Thatsächliche dcs Falles hinaus-
zukommen. Er strebt nach der Weihe
der Betrachtung und nach eincr tragisch
reinen Schlußempfindung. Der Schmerz
! des Vaters soll ins Grotze wachsen —
so groß soll er wachscn, datz wir uns
t. Iaiiuarheft t?vl
Z37
»Deutschen Adel« dem deutschen Publi-
kum noch einmal anzuschmeicheln, stclle
ich noch diesen vierten Vand klcinerer
Erzählungen zusammen. »Regierungs-
rat Wunnigel« wußtc wohl schon besser
allein für sich zu sorgenl Die Stücke
sind in dcn Jahren 1S7Z, 1876 und 1877
geschrieben worden und erleben alle
drei hicr ihre zweite Auflage.« — Das
ist dic ganze Vorrede, aber sie enthält
einen schweren Vorwurf für das ge-
bildete Dcutschland. Jn 25 Jahren
die zweite Auflagel Und das bei
einem Dichter, dessen Werke in keinem
deutschen Hause fehlen dürftenl"
Das „Berliner Tageblatt"' hat voll-
kommen Necht: es ist eine Schande,
das; cs so steht. Nur wär' es schön,
wenn das verehrliche Organ auch über
die Gründe dieser Erscheinung eiwas
sagte. Wir wollen ihm einhelfen: was
macht in deutschen Landen den „Nuhm",
soweit er Geld einbringt? Zum größten
Teile die Tagespresse, — darin wissen
wir uns mit Herrn Mosse vollkommen
cinig. Von welchen Schriftstellcrn abcr
wird beispielsweis cben im „Berliner
Tageblatte" gesprochen? Jeder, der's
kennl, wird mir bestätigen — vor allem
natürlich von Lcuten wie Naabe, der
ja cinmal darin „der deutschc Dickens"
genannt worden ist I Oder doch nicht?
Jn Wahrheit bcdeuten Notizen wie
diese an solcher Stelle die widcr-
würtigste Heuchelei, die sich denken
läßt. Denn auf eine Erwähnung
eines Raabe kommen in der „ver-
breitctsten liberalen Zeitung Deutsch-
lands" reichlich zwanzig, die cinem
Sud erma nn und dreitzig, die eincm
Oskar Blumenthal gelten, wäh-
rend der Hauptraum des übrigcn
Fcuilletons dem Kulissen- und Atelicr-
klatsch gewidmct ist. Und früher war
das alles noch schlimmer! Für dic
Thatsachen, die das „Berliner Tage-
blatt" gerührt beklagt, kann sich Raabe
vor Allem eben beim „Berlincr Tagc-
blatte" und seinesgleichen bedanken.
* Berliner Theater.
Jm „Deutschen Theater" gab es die
neue Dichtung Gerhart Haupt-
mann s. Arno Holz hat einmal aus-
gesprochen, dah nach seiner Ansicht der
Fall Hauptmann ein tragischer
Fall sei, und er scheint Recht zu bc-
halten. Es schcint wirklich, datz Haupt-
mann von seinen unbesonnenen
Freunden in eine Stellung gebracht
ist, in der cr sich — selbst in den
Augen seiner unbcsonncnen Freunde —
auf die Dauer nicht wird halten können.
Der Fall ist auch insofern tragisch, als
der Held — also Hauptmann — immer
wiedcr unsere menschliche Sympathie
erringt, weil er immcr wieder über
das bereits Geleistcte hinausstrebt.
Das thut er auch im „Michael Kramer",
seinem letzten Drama. Er führt sein
Publikum etwas irre, wenn er die
Dichtung ein „Künstlerdrama" nennt.
Der Konflikt ist ein rein menschlicher
Konflikt zwischcn Vatcr und Sohn;
Kramer hättc obensogut Bauer scin
können, wie er Maler ist. Er sieht in
seincm vcrwachscnen Sohn, den die
körperliche Mihgestalt hämisch und
boshaft gemacht hat, einen grotzen
Künstler. Er hat durch Strcngc ver-
sucht, ihn bei dcr Arbeit und beim
Ernst des Lcbcns zu halten — es ist
ihm nicht gelungen. Er war vielleicht
z u streng, und so findet er nur ver-
schlossene Züge, als er endlich seinem
Sohn die offene Freundschaft anbietet.
Die Beiden kennen sich nicht mehr, und
darin liegt die eigentliche Tragik der
Dichtung. Jm lctzten Akt nun hat
Hauptmann cine tragische Rcinigung
versucht. Der Sohn endet durch Selbst-
mord, Hauptmann versucht über das
Thatsächliche dcs Falles hinaus-
zukommen. Er strebt nach der Weihe
der Betrachtung und nach eincr tragisch
reinen Schlußempfindung. Der Schmerz
! des Vaters soll ins Grotze wachsen —
so groß soll er wachscn, datz wir uns
t. Iaiiuarheft t?vl
Z37