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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 8 (2. Januarheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0410

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und stark zu charakterisicrcn, würdc
nicht einen Vorzug schassen, sondcrn
cincn Fehler. Das allcs ist nicht etwa
meine Prioatwcitzheit, sondcrn das
habcn die Dichtcr aller Nationcn so
geübt. Kein Held, kcine Hcldin dcr
Weltliteratur ist aus dcr Charakte-
ristik geborcn. Die werdcn ganz anders
konstruiert, aus Postulaten oder Jde-
alen, mitunter sogar bloß aus Ad-
jektiven. Larl Sxitteler.

*Bahr als „Heimatskünstler".

Von Hermann Bahr ist ein neues
Bühnenstück, „Der Franzl", vor kur-
zem im „Wiener Verlage"' erschienen
und auch schon in Linz, der Vaterstadt
deS Autors, aufgeführt wordcn. Her-
mann Bahr, derVerwandlungskünstler,
tritt hicrmit, soviel ich weiß, zum
crsten Mal als „H e i m atspo et'
auf. Schlicht, wie sich's sür einen
solchen gcziemt, nennt cr sein Wcrk
nicht mehr, als „das Denkmal cines
guten Mannes". Dann aber vertraut
er dieses Dcnkmal auf der nächstcn
Seitc fcicrlich „der Obcrösterrcichcr
Jugend, denen vom Pan, dic
vollendcn sollen", an und setzt
ihm autzerdcm ein für dcutsche All-
tagssterbliche geheimnisvoll - griechi-
schcs Motto vor. Auf diese Weise
scheint mir Bahr die Schlichtheit nicht
ungeschickt mit dcm deutlichen Hinweis
zu vcrbindcn, daß sein Werk eigent-
lich doch mchr sei, als es iu seiner
Beschcidenhcit vorgibt. Wenn's nur
auch thatsüchlich mehr hielte, als sein
Titel vcrsprichtl Statt dessen gibt's
in Wahrhcit wenigcr: cs gibt nicht
das Gemülde cines guten Mannes
nach dem ivirklichen Lcben, sondern
es zeigt das Bild eincs braocn Lieder-
schustcrs nach der Schablone unsrer
„Volksdichter": in dcr Hauptsache
ivicder einmal die crprobte Mischung
von gcnialer Ungebundenheit, dic sich
in Trinkfcstigkcit und Schnadahüpferln
und „hcimlicher" Gemütstiefe, mit ^
Vorlicbc abcr in der ausgiebigcn Ver-
wendung dcs rührenden Wortes

„Muederl" äutzcrt. Natürlich fehlt
nebcn dieser guten Mutter, die den
als verunglückten Schüuspieler heim-
kehrenden Sohn freudigst willkommen
heißt, auch dcr unerlätzlichc sitten-
strengo Vater nicht, dessen moralische
Starrköpstgkeit sich nach kurzem passt-
ven Widerstand ebenso unerläßlich in
Gemütlichkeit auflöst. Jm selben
Geleis fährt dann der ausgewachsene
„Franzl" weiter. Dem steifen, hoch-
mütigen Fürsten z. B-, um dessen Gunst
er nachsucht, erzählt cr in jcner „Ge-
mütsnaivität", die gewöhnlichen Men-
schenkindern als Dummhcitoderplumpe
Herausforderung erscheint, wie er dem
König von Bapern eine gehörige Grob-
heit habe bcstcllen lassen. Wirklich
unangenehm wird mir der Bahrsche
gute Mann aber, als ihn, den schon
Angegrauten, ein enthusiasmierter
Backfisch aufsucht, wobei in dem ältcren
Herru ein von Bahr durch allerlei
Seufzer und Luftschnappcr sehr an-
schaulich geschilderter Kampf beginnt
zwischen vüterlicher Ueberlegenheit und
dem, was man so Liebesgefühle nennt.
Rein crheiternd dagegen wirkt der
Schlutz. Der „sterbende" Franzl geht
mit „steifen und stechenden" Schritten
im Zimmer herum, nimmt Abschied
vom „Landl" und lätztFrau und Kinder
der Reihe nach, eins nach dem andern
amreten, um jedem einc schöne, längere
Scheiderede zu halten. Dann läht sich
der Franzl noch eine letzte Pfeife stopfen
und stirbt unter Zitherklang und wch-
mütigem Gesange seiner Frau nach dem
üblichen Volksprogramm.

Die ganze Geschichte ist so fürchter-
lich slach und trivial, datz einem ein
Ganghofer davor als Genie erscheinen
konntc. Eingehen aber hab' ich doch
auf sie müssen, da die Strömung, der
sich Bahr vor kurzem mit unvermutct-
kühnem Seitensprung anvertraut, ihn
in dcr That dankbar tragen zu wollen
scheint: schon begrützt es Greinz, oin
Führer der österreichischcn Heimats-
bcwcgung, mit Freuden, datz Bahr,
Zanuarheft ttzOt
 
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