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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1902)
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Weber, Leopold: Neues von Wilhelm von Polenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0025

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zu weitschweifig und ungenau,als Temperaments-und Charakteräußerungen
aber vermögen sie auch nicht zu interessieren, da ihnen dasür die indi-
viduelle Tönung viel zu sehr abgeht. Bös sieht es zu großem Teil
auch mit der Sprache aus, die Polenz sonst so schlicht und zweckmäßig
zu behandeln weiß. „Er machte die Bekanntschast jener Welt von
unvergänglicher Gedankenfülle, die den schlichten Namen trägt: Shakespere."
„Nicht daß ihr Gesicht ungewöhnlich schön gewesen wäre, aber es war
beinahe mehr, nämlich: interessant." „Man hätte von ihm sagen können,
daß er das Weib kenne, weil er die Weiber nicht kannte." Heißt das
die Sprache selbständig behandeln? Muß man nicht erstaunen, bei einem
Schriststeller von Polenzens Bedeutung aus solche abgegriffene Rede-
wendungen zu stoßen? Häusig ist es letzten Grundes das Konventionelle
des gedanklichen Jnhalts selbst, was solche Redeblüten hervorbringt. Was
ist das sür eine Resonanz, die einem beim Wandeln über hohle Stellen
in die Ohren tönt wie: „Er ersuhr es an sich, daß es weniger die Jahre
sind, die den Menschen sotmen, als das, was man in ihnen durchmacht."
Selbstverständlichkeiten betonen Leute von Geist sonst doch nicht.
Ebensowenig können mich scherzhaste Bemerkungen von so zweiselhaster
Originalität ersreuen, wie: „Mit Gedankenstrichen hatten die beiden
Dichter nicht gespart, Gedanken aber suchte man bei ihnen oergebens."

Jm ganzen macht das Werk den Eindruck aus mich, als wäre es
zu srüh herausgekommen, andrerseits ist dieser Stoff aber ein derart
interessanter, daß sich mir eine erneute gründliche Durcharbeitung wohl
zu lohnen scheint. Der Behandlung schriststellerischen Milieus ist Polenz,
„der Edelmann und Dorspoet" wohl gewachsen. Die Fälle, wo er sich
einmal in den Seelen seiner aus schlichten Bürgerverhältnissen stammenden
und pekuniär bedrängten Personen nicht ganz zurecht sindet (Schreibers-
söhne veranstalten nicht gleich Champagnersoupers, wenn sie sestlich
ausgelegt sind), sind selten und wenig wesentlicher Art.

Außer des zweibändigen Romans liegen mir noch einige Arbeiten
von Polenz aus dem vorigen Jahre vor, die ländliche Zustünde behandeln.
Die Dorstragödie „Junker und Fröhner" (Berlin, F. Fontane) gibt
ein Bild gespannten Verhältnisses zwischen Gutsherren und Vauern im
achtzehnten Jahrhundert. Der junge Freiherr von Hayn will seinen
Leuten, statt sie wie die Mehrzahl seiner Standesgenossen zu schinden,
ein gerechter Herr sein. Sein Spielgenosse aus der Kinderzeit, der
angesehene Bauer Christian Noack soll ihm helfen, den guten Glauben
seiner mißtrauischen und durch Rabulisten dazu noch verhetzten Unter-
tanen zu gewinnen. Aber das Bündnis zwischen den beiden geht in-
solge der Rünke des Justitiarius und des wilden Hochmuts der Edelsrau
in Brüche. Erschüttert und hilslos muß es der Freiherr hören, wie
schließlich Christian, zum Mörder geworden, alles Elend, das ihn und
die Seinen getroffen, ihm persönlich und dem Landadel überhaupt zur
Last legt.

Auch hier ist der Geist des Ganzen durchaus erfreulich: Freiheits-
sinn, der auch im Untergebenen den selbständigen Mann zu stnden
wünscht, und sich dabei doch von aller schwächlichen Gleichmacherei fern
hält, vielmehr sich bewußt bleibt, daß ein Volksorganismus wie jeder
andere nur bei über- und untergeordneten Gliedern gedeihen kann.
Als Drama dagegen, ja überhaupt als Kunstwerk schon scheint mir die

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