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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Literarische Vereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0093

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I^itsrLriscbe ^srsine.

Vor wenigen Jahrzehnten noch waren die Literarischen Vereine
fast ausnahmslos sehr sriedliche und gemütliche Wesen. Bei Tabakrauch
und Kaffeeblume oder Bierarom tagte man da allwöchentlich einmal
nachmittags, bis im Lokale die Abendgäste häufiger, die Plätze also dem
Wirte kostbarer wurden und nun der Glockenschlag der siebenten Stunde
den Schluß der Sitzung verkündete. Gleichviel, ob Herr Oberlehrer
Schussig über den punischen Krieg, Herr Amtsgerichtsrat Meger über
die Gedichte des hofsnungsvollen jungen Mitgliedssohnes stuck. pllil. Leh-
wann, der Herr Major a. D. Kretzschmar über seine Reiseerinnerungen
aus Capri langweilig oder geistreich gesprochen hatte, gleichviel ob in
der Debatte darauf gerade das Problem der Ewigkeit oder der neueste
Schwank des Herrn von Moser kalt oder hitzig erörtert wurde — nach
den sieben Schlügen der Ubr war nur noch sür den warmen Dank des
Vorsitzenden an den Vortragenden Zeit, und über die abrauschenden
Wellen auch der privaten Auseinandersetzungen schwammen bald be-
herrschend die Ruse hin: „Kellner, zahlen!" So ging's Woche für Woche;
Winters noch ein Abendsest, daß die Damen auch etwas hätten, Sommers
ein Ausslug, daß die jungen Leute sich wieder sähen — und kein Mit-
glied hatte höheren Ehrgeiz sür seinen Verein.

Jetzt ist es in den größeren Städten anders geworden. Das Ge-
sühl von der Einseitigkcit einer nur verstandesmäßigen Bildung und,
was damit zusammenhängt, sagen wir kurz: der allgemeine neue Drang
zur Kunst, der am stärksten innerhalb der bildenden Künste wirkte, schob
seinen Druck doch auch hier hinein. Und die ^Revolution der Literatur"
in den achtziger Jahren hatte trotz all der Hitzblasen, die in ihrem
Kessel brodelten, unter anderem Guten dieses: sie machte aus das
Kämpsen der Lebenden krüstig genug aufmerksam, um die Literatur
überhaupt als etwas lebendiges erscheinen zu lassen, als etwas, worüber
man nicht bloß sprechen konnte, nein, das auch selber mit drein sprach.
Jn eben den Kreisen, die sich mit den literarischen Vereinen bisheriger
Art ganz zusrieden gesühlt hatten, erkeimte ein Gesühl von Verpslichtung
gegen ein Kultur-Ganzes, als dessen mitverantwortlichen Teil auch in

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