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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI issue:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
DOI article:
Schultze-Naumburg, Paul: Die Ausstellung "Neue Frauentracht" in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0106

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Unsere vier Abbildungen sind wieder zu Beispiel und Gegenbeispiel
angeordnet. Sie zeigen die zwei Hauptgruppen von Kleidern, die auf
.unserer Ausstellung vertreten sind: das einsache Hauskleid und das Fest-
gewand. Abb. s ist von Marie Gräfin Geldern-Egmond entworsen
und vertritt in seinem Schnitt den einen Haupttyp, der bei der Resorm-
kleidung zur Anwendung kommt: das von den Schultern getragene
Kleid, das mit einer Bluse verbunden ist. Der traurigen Komik, die
in unserem Gegenbeispiel, dem Jdeal der neuen Pariser Mode, zum
Ausdruck kommt, wird sich kaum jemand aus unseren Kreisen entziehen
können.

Abb. 3 ist von mir entworsen und stellt einen andern Typus dar:
das saltige Gewand, das vom mehrsach geschlungenen Gürtel gerafft
wird. Das Mieder ist von einer reichen Stickerei bedeckt und trennt
sich so von dem herabfallenden Gewande. Jch bin nicht sicher, ob jeder
gleich in dem Gegenbeispiel, Nr. die Entstellung des Menschenleibes
gesühlsweise erkennt. Wer das nicht thut, mache sich all die Unnatur
zunächst verstandesmäßig klar, eine Weile, und auch sein unmittelbares
Empfinden wird seinem Kopse Recht geben.

Jch möchte bei dieser Gelegenheit unsern Lesern zwei Veröffent-
lichungen anzeigen. Die eine ist eine kleine Broschüre von Jeannie Watt
und heißt „Das Zukunstskleid der Frau" (Vobach L. W. Berlin, s Mk.).
Jeannie Watt ist eine der tapsersten Vorkämpserinnen, die mit erstaun-
licher Energie eine praktische Propaganda sür die Resormkleidung be-
treibt. Sie saßt in ihrem Heste, das durch seinen billigen Preis all-
gemein zugünglich ist, ihre praktischen Ersahrungen zusammen, gibt
eine kurze Uebersicht über die Grundsätze der Reformkleidung und eine
Neihe Kleider-Schnitte, die sie selbst ausprobiert hat. Leider hat der
Verleger die üußere Ausstattung sür die Broschüre nicht glücklich ge-
wählt. Hoffentlich schadet das der Verbreitung nichts, so datz es bei
einer zweiten Auflage verbessert werden kann.

Die andere Schrist, „Die Schädigung des weiblichen Körpers durch
sehlerhaste Kleidung", hat zum Verfasser Or. rneä. Justus Thiersch
(Berlin, Herm. Walter). Sie setzt in ruhigem, sachlichem Tone das
auseinander, was ein Arzt zu der Frage zu sagen hat und welche
Schäden er an seinen Patienten konstatieren kann. Das Fazit daraus
wird als Forderung gszogen, ohne den Versuch, auf die praktischen
Lösungen im einzelnen einzugehen. Die Schrist wird vielen sehr will-
kommen sein. Wenn ich einen Wunsch dabei habe, so ist es der,
daß sich Or. Thiersch zu einer ins Einzelne gehenden umsangreichen
Arbeit entschlösse. Es giebt immer noch Aerzte, die eine Aenderung
unserer Korsetkleidung nicht sür nötig halten. Or. Thiersch wäre der
Mann dazu, seinen Berussgenossen medizinisch-sachlich zu beweisen, daß
eine Lässigkeit auf diesem Gebiet ein Unrecht bedeutet.

P au l Schultze - dcauurburg.

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