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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Sprechsaal: nochmals Maeterlincks "Monna Vanna"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0402

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dagegen, mich als spitzfindigen Menschen bezeichnen zu lassen. Doch hosse ich
mit diesen Ausführungen bei einigen wenigen zum mindesten so viel klar ge-
macht zu haben, üaß wir uns bei der Beurteilung dieser Frage an einem
Wendepunkt befinden, an dem zwei wesenswichtige natürliche Arten, unsre
seelische Welt „anzuschauen" und zu werten, sich deutlich trennen. Das mag
die vielen Worte in einer Sache entschuldigen, die bei der literarischen
Beurteilung von Maeterlincks „Monna Vanna" noch nicht die ausschlag-
gebende ist.

Jm weiteren bin ich selbstverständlich fern davon, zu glauben, daß ein
Mensch, den das Schicksal vor eine derartige harte Wahl stellt, diese oder ähn-
liche Gedankengänge vor seiner Entscheiüung zu absolvieren habe. Jch versuche
nur mit diesen Ausführungen mein Gefühl in der Sache begrifflich klar zu
machen und so meine Meinung zu stützen, welchen instinktiven Trieben
eine wahrhaft große Seele in solchem Falle folgen werde. Daß sich das etwas
verwickelt gestaltet, liegt in erster Reihe keineswegs an mir, sondern an der
bösen Welt, die mir leider nicht aufs Wort glaubt, sondern mir vielmehr mit
mannigfaltigen Einwänden die entsprechenden Entgegnungen herauszieht.
Meinem persönlichem Geschmack nach würde auch ich dem mühsamen Auf-
wickeln das „triebmäßige" Durchhauen von gordischen Knoten vorziehen.

Bei dieser meiner Anschauung der Sache könnte Monna Vanna natürlich
ihrer Tat den Stempel der Größe auch dadurch nicht ausdrücken, daß sie sich
hinterher tötete. Edler erschiene sis mir in solchem Falle freilich als in dem
Stück, wo sie immer tiefer ins Lügen und Belügen hineingerät, hineingeraten
muß, weil nun einmal das Weiterleben um jeden Preis das oberste Ziel,
scheint's, dieser „Bewußten und Starken" bildet.

Ein höchst unwahrscheinliches Bild aus der Renaissancezeit aber gibt
mir Maeterlinck nicht deswegen, weil er in den Seelen von Kriegern Edelmut
mit Wildheit vereinigt, wie sie ja wohl Menschen jeden Zeitalters zeigen, son-
dern weil mir die Wildhsit bei Maeterlinck mehr in üem Wildheitswahn roman-
haft angekränkelter Personen als in der wirklichen Wildheit von Tatmenschen
zu bestehn scheint, während ich ihre „edeln" Gefühle sehr oft von schwächlich
moderner Sentimentalität nicht unterscheiden kann.

Wenn endlich davon gesprochen wird, daß uns Maeterlinck schon um
seiner „Romantik" willen teuer sein müßte, so kann ich da nicht mit. Eine
„Romantik in weiterem Sinne", wie sie Bartels in seiner „Geschichte der
deutschen Literatur" schildert, die gegenüber der „Tagpoesie der Klassik" alle
„Mächte der Phantasie und des Gemütes" in „Sehnsucht, Hoffnung und Glauben"
entfesselt, ohne „bei all ihrem Jdealismus wirklichkeitsfeindlich" zu sein, ja
die bedeutete in der Tat eine Wiedergeburt und einen „Sieg des germanischen
Geistes über die Antike". Mit solcher kernhast germanischen Romantik hat
aber die romanische und romanhafte Art Maeterlincks, üas „Abenteuerliche"
im Gemütsleben auf Kosten des „Natürlichen" zu schätzen, meinem persönlichen
Empfinden nach im Grunde nur wenig zu tun. Leoxold weber.

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Runstwart
 
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