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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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B: Lex Parsifal?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0698

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schnell über diese Einwände hinweggesetzt, daß er sich darauf beschränkt
hat, allein die für das Verbleiben des Werkes in Bayreuth sprechenden
Motive zu betonen. Zum Schaden der Sache, denn nichts erschwert
eine Verständigung so sehr, als die Abneigung, die Ansichten des Gegners
leidenschaftslos zu prüfen, und die Art, an Stelle der Gründe und Be-
weise Ueberzeugungen und Gesinnungen zu setzen.

Man vergeffe auch nicht, daß die ganze Parsifalfrage niemals hätte
aufgeworfen werden können, wenn man die Partitur des Werkes feiner-
zeit nicht dem Musikhandel übergeben hätte. Wie begreiflich dieser Schritt
auch sein mag, und wie sehr man ihn von anderm Standpunkte aus
begrüßen konnte, vorsichtig vom Standpunkte Bayreuths aus war er
nicht. Die Unvorsichtigkeit von damals soll jetzt der Bund wieder wett
machen. Kann er das? Nach dem geltenden Gesetze nicht. Ein neues
Gesetz müßte geschaffen werden, dazu aber bedürfte es einer starken Be-
wegung im Volke, an die wir bei dem rhetorischen Charakter des offi-
ziellen Wagnerianertums nicht glauben können. Die „Bayreuther Blätter",
die heuer in ihr Jubeljahr getreten find, haben fich ftets gerade darauf etwas
zu gute getan, nur für „die wenigen Edlen" geschrieben zu sein, man
hat die mächtige Organisation der Wagnervereine zerbröckeln lassen, man
hat fich mit vielen einflußreichen Jnstituten, Personen, Cliquen über-
worfen, für die Erziehung und Aufklärung der Volksmassen im Wagner-
schen Sinne ist wenig geschehen, ein Plebiszit brächte schwere Nieder-
lagen. Ueber den Ausgang kann ein Zweifel gar nicht obwalten, denn
das Volk, soweit es der ganzen Angelegenheit nicht teilnahmslos gegen-
übersteht, wird in die Rufe hier der Theaterleute, dort der Jdealisten
unter dem Fähnlein „die Kunst für alle", dort wieder der Neidinge mit
einfallen, die da feit Jahr und Tage rufen: „Her mit dem Parsifal."

Die Theaterleute fragen: sollten die Hoftheater zu Wien, Dresden,
München nicht imftande sein, den „Parsifal" in einer künstlerisch wür-
digen Weise aufzuführen? Und nur ein verblendeter Parteimensch kann
diese Frage mit gutem Gewissen verneinen. Die Theaterleute behaupten
allerdings zuweilen noch mehr, sie glauben sogar, sie könnten's noch
besfer machen. Aber es genügt anzuerkennen, daß ein Mahler, ein
Schuch, ein Zumpe, ein Muck usw., wenn ihnen die Ehre zuteil würde,
das erhabene Werk an ihren Jnstituten einzuführen, sehr wohl wüßten,
welcher Schatz ihren Künstlerhänden anoertraut würde, und daß sie alles
daransetzen würden, um ihm die Ausnahmestellung im Repertoire zu
schaffen, die ihm zukommt. Die Ausstattung würde funkelneu und
darum blendender, vielleicht auch in technischer Hinsicht besser sein als
die alte in Bayreuth. An Sorgfalt des Studiums würd' es der Ehr-
geiz nicht fehlen lassen, viele der Sänger find in Bayreuth selbst für
ihre Aufgabe vorbereitet, und wenn die Rundung und Abstimmung des
Ganzen nicht völlig erreicht würde, so bedeutete das doch auch noch
kein Sakrileg. Man würde den „Parsifal" auf den Hauptopernbühnen
mindestens ebenso anftändig zu hören bekommen wie den „Ring des
Nibelungen" oder den „Tristan".

Das Argument, daß „Parsifal" nirgends anders als in Bayreuth
aufführbar sei, zerfällt also in nichts. Es gibt noch manche andere,
nicht minder „heilige" Schöpfungen der Tonkunst, die bisher nicht pro-
faniert und entweiht wurden, weil man sie allerorten, sogar mit Dilet-

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Knnstwart
 
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