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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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B: Lex Parsifal?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0699

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Lantenkräften gespielt und gesungen hat, welche dabei trotz aller Unvoll-
kommenheit ihr Publikum hoch erbaut und tief ergriffen haben. Dies
wird man den idealiftifchen „Freibeutern", die ein Privileg für den „Par-
sifal" als eine ungerechtfertigte Bevorzugung nicht einräumen, ohne
weiters Zugestehen müffen. Wenn die Bündler darauf aufmerksam machen,
daß man, um die Sixtinische Madonna Rafaels zu sehen, doch auch nach
Dresden reifen müfse, so machen sie eben aus der Not eine Tugend.
Denn es wäre durchaus erwünscht, wenn man dieses Bild auch an
anderen Stätten zu sehen bekommen könnte.

Nun aber wollen wir uns auch die Trugschlüsse der Gegen-
partner ein wenig ansehen. Vor allem ist es sehr übertrieben, zu be-
haupten, der Parsifal werde dem deutschen Volke vorenthalten. Das
Textbuch, drei Klavierauszüge und Partituren sind zu leidlichem Preis
in jeder Buchhandlung küuflich, die musikalischen Hauptstücke, das Vor-
spiel, die ganze Tempelszene, der Karfreitagszauber erscheinen oft auf
den Konzertprogrammen. Von einer gänzlichen Versperrung kann also
nicht die Rede sein. Und wenn man einwirft, daß die lebendige Wirkung
des „Parfifal" auf die moderne Kunst infolge der künstlichen Beschrän-
kung weit geringer sei als die des „Tristan^, des „Rings" und der
„Meistersinger", so fragt fichs, ob wir sagen müssen: leider! Es ist ja
ganz natürlich, daß die Bayreuther, deren letzte, frischeste Erinnerung an
Wagner ihn als Parsifalschöpfer vor Augen führt, eine ganz besondere
Pietät für diefes Endwerk hegen, die ihre ästhetische Schätzung dafür
noch wesentlich steigert. Es erscheint ihnen als die Krone seiner Kunst,
aus ganz ähnlichen Gründen, wie denen um Goethe auf lange hinaus
der zweite Teil des Faust als des Meisters größte Tat erschien. Die
Abgeklärtheit, Milde und Weltfremdheit des von Ewigkeitsgedanken er-
füllten Weihespiels hat in der Tat etwas unsagbar Rührendes, Bewe-
gendes, Verehrungswürdiges. Man wird zunächst nicht müde der Be-
wunderung, wie ein Künstler an der Schwelle des Greisenalters der
Musik noch eine Stimmungswelt von unvergleichlicher Eigenart abzu-
gewinnen vermochte, und man verweilt nicht gern bei den Spuren
sinkender Kraft in der dramatischen Gestaltung, in der Sinnlichkeit der
Melodik. Aber Parsifal ist eben doch ein Alterswerk, wenngleich ein noch
so erstaunliches. Man würde das bei Aufführungen außerhalb Bayreuths
viel stärker als dort empfinden. Hier, wo man von des Meisters stillem
Grabe zum Festspielhügel emporwandert, ist die empfängliche, feierliche
Stimmung da, um Eigenschaften des Werkes einen Reiz abzugewinnen,
die anderswo, wo es mit dem „Troubadour" und der „Königin von Saba"
als Theaterstück in Wettbewerb tritt, immerhin als Mängel fühlbar
werden müßten. Gegen den „Ring" und „Tristan", die von dramatischem
Leben sprühen, steht es an Spannkraft denn doch entschieden zurück.
Es bedeutet einen Gewinn für die Kunst, aber nicht für die Repertoire-
Schaubühne, deren Gesetzen es fich nicht fügt. Jn Bayreuth, wo ich
nichts zu versäumen habe, ficht mich der schleichende Gang, ja der völlige
Stillstand der Handlung z. B. im dritten Akte nicht an, ich versenke
mich gern in die ruhende Schönheit der einzelnen Bühnenbilder. Aber
wenn ich daheim nach acht- oder zehnstündiger Berufsarbeit am Abend
noch meinen „Parsifal" in mich aufnehmen will, dehnen fich mir die
Minuten ins Unendliche, es fehlt die Ruhe der Betrachtsamkeit, ich ver-

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