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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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Steinhausen, Heinrich: Paul Gerhard und sein Denkmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0703

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Zwar, so weit auch seine Stimme schallte, er selber lebte ein ver-
borgnes Leben; er sang wie die Nachtigall aus dunklem Laubversteck,
wie er ja auch in Mittenwalde gewohnt hat. Von den Gütern dieser
Welt, auch von ihren Ehren hielt er nicht viel. Den Reichtum nennt
er ein Stücklein armer Erd, die Lust, fragt er, was ist sie wert und
„was ist's, das mich heut ersreuet, das mich morgen nicht gereuet" ? Ja,
er hat etwas von der Welt weit abgekehrtes, spricht von Helfern, die
ihm Herzleid machen, von guten Freunden, die sein lachen. Doch hat
er auf seiner Leier trotzdem auch Töne kindlicher, herzlicher Lebensfreude
in Fülle, die Nachtigall hat sie auch; sie heben sich von dunkler Schwer-
mut ab, wie Goldfäden auf tiefem Grunde desto heller glänzen.

Auch sein äußerer Lebensgang war tief beschattet, je lünger, je
mehr, Armut und Kampf ohne Sieg, Leiden ohne Beistand war sein
Los, und als er von Berlin scheiden mußte, sang er: „Mir ist in allen
Landen, so weit die Wolken gehn, kein einziger Freund vorhanden, der
bei mir wollte stehn." Zwar seine Lieder waren schon zu seinen Leb-
zeiten weit bekannt und geschätzt, aber auf die Erinnerung daran in
der Bittschrift des Berliner Magistrats um Belassung des geliebten
Predigers in seinem Amte antwortete der große Kurfürst etwa: an den
Gesängen möchte wohl auch nicht viel sein.

Nein, Lorbeerkränze wurden ihm seiner Zeit nicht überreicht, mit
Titeln, Orden und Jubiläumsfeiern ward er nicht ausgezeichnet. Auch
wären solche Ehrungen am wenigsten nach seinem Sinne gewesen; ja,
hätte er so gute Tage gehabt, ob er dann unser Paul Gerhard ge-
worden oder geblieben würe? Denn Menschen seiner Art und Kunst
„von innerlicher Herzenslust und Freudigkeit des Geistes" gehn selten
durch dies Leben, ohne mit dem Stempel „des üußerlichen Trübsals"
beglaubigt zu werden.

Jetzt kann man nun immerhin das bei seinen Lebzeiten Versäumte
nachholen und ihn in ganzer, halber oder Viertelsfigur im Lichte der Oeffent-
lichkeit vor der Kirche auf dem Marktplatze sehn lassen — in Lübben.

Jn Lübben führte er sein Kirchenamt die letzten Jahre seines
Lebens, dort starb er und dort liegt er auch begraben. Aber dort war
sein Liedermund auch verstummt; dort sang die Nachtigall nicht mehr;
gewiß nicht, weil sie zuviel Sonne hatte, sondern eher hat den Mann
da die Stimmung beherrscht, die sich in einem seiner Lieder früherer
Tage ausspricht: „Je länger ich hier walle, je weniger stnd ich Lust,
die meinem Geist gesalle, das meist ist Stank und Wust." Freilich ein
etwas unhöslicher Vers, und wenigstens in einer unsrer modernen
Prachtkirchen kann man ihn nicht gut singen. Daher haben ihn auch
alle neuerdings hergerichteten Gesangbücher entweder ausgemerzt oder
— wie soll ich sagen: „adjustiert" ? Aber dies Fazit seines Lebens-
ganges hat Paul Gerhard wirklich gezogen. Und daß ihm so in Lübben
zu Mute sein konnte, dürsen wir wohl glauben, wenn wir hören,
daß er unter anderm Schwierigkeiten hatte wegen der ihm angewie-
senen Wohnung, die für seine „ample" Familie zu enge war und die
man ihm nicht ausbauen wollte; auch konnte er, wie er in Bitt-
schriften an den Magistrat vorstellte, das in Lübben gebraute Bier nicht
vertragen; aber das ihm gewohnte aus Dresden sür sein Geld kommen
zu lassen, wollte man ihm nicht erlauben.

2. Februarbeft tyOö

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