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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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Steinhausen, Heinrich: Paul Gerhard und sein Denkmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0704

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Dafür wird er nun, unter dessen Bildnis steht: „Gesiebt in Satans
Siebe", sein Denkmal in Lübben haben. Wirklich, wir sind's ihm
schuldig, wir fühlen's, daß wir's ihm schuldig sind, und wenn nicht, so
macht man's uns zur Pslicht.

Wie aber, wenn man an eine andre Ehrung dieses Sängers dächte
und dankte ihm sür seine Gaben, indem man sie brauchte? Wie viele
von Paul Gerhards Liedern sind denn wirklich noch gekannt und wie
viele von diesen werden außer bei den Herkömmlichen Anlässen noch ge-
sungen? Paul Gerhards Dichtkunst ist nicht bloß und zuerst Kirchen-
kunst, sondern Haus- und Volkskunst. Wo ist aber das Volk, das mit
dieser Kunst vertraut ist; wo sind die Häuser und Herzen in Stadt und
Land, die noch aus diesem Liederborn im Vollen schöpsen?

Diesen wieder zu eröffnen und seine noch immer sprudelnden
Wasser über die Gefilde deutscher Lande zu leiten, sür die sie bestimmt
sind — sollte dazu nicht vor allem das erneute Gedächtnis Paul Ger-
hards aufrufen, oder können Menschen des Geistes besser geehrt werden,
als wenn wir ihr Lebenswerk ehren, das nicht wie bei den Helden der
Tat höchstens in seinen Wirkungen noch sortdauert, sondern unsterblichcs
Leben in unverwelkter Frische atmet?

Und wenn sich Lübben aus Paul Gerhard als aus den seinen
besinnt: was ist mit der Aufstellung einer Denkmalsfigur des beschei-
denen und nur in seiner Jnnerlichkeit und Unscheinbarkeit großen Mannes
getan, was kann man davon, und wenn es aufs beste ist, sehn?

Aber wohl könnte so eine Stadt den Sänger unter sich zum Mit-
und Fortleben erwecken, durch besondere Pslege seines Gesanges.

Seine Kunst ist keine Höhenkunst, sondern eine Kunst sür Alle und
darum auch für die wahrhast Hohen, für die Höchsten in Geist und Ge-
sinnung, denen Kunst eins mit dem Leben ist.

Wir wünschen und ersehnen eine Volkskunst; wir suchen nach
Mitteln und Wegen, sie da zu pslanzen, wo sie noch keine Mängel hat,
damit zum Heile immer mehrerer ihre edlen Früchte reifen. Hier wäre
nur nötig, ihr den Erdboden zu lockern, um sie zum Grünen und Blühn
zu bringen. Soll eine aus dem Leben heraus wachsende und auf es
wirkende, an teure noch vorhandene oder wieder erwachende Erinne-
rungen anknüpfende Kunst nur würdig geübt werden können, wo Riesen-
kapitalien Großunternehmungen ermöglichen? Und ist Paul Gerhards
Poesie nicht recht eigentlich dazu geschaffen, die Tonkunst anzuziehn und
hat sie sich nicht mit ihr bereits verschwistert seit Jahrhunderten? Die
großen Kantoren der lutherischen Kreise, Bach an der Spitze, haben seine
Lieder der Gemeinde vorgesungen und ihnen den höchsten Ausdruck der
Weihe gegeben, die, den Wechsel der Zeit, des Geschmacks, der Kunst-
sorm und Entwicklung überdauernd, nie aufhören wird, in den Seelen
zu widerhallen, die nicht völlig entartet sind.

Wohl, so werde denn Paul Gerhards Kirche die Feierstätte, in
der seine Lieder für das Volk und aus dem Volke, kunstmäßig und
volkstümlich ertönen und sein Name strahle über Festtage, in denen das
Edelste die Empfänglichen erhebt und entzückt, was der Protestantismus
von ihm ureigner Kunst hervorgebracht hat. Welch eine Fülle von
Schätzen böte sich da den Kundigen dar, und welch ein Reichtum von

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