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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Zur Hebbel-Propaganda
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0020

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davon entfernt, hiermit den plumpen Vorwurf wiederholen zu wollen,
Hebbel sei mehr ein Jllustrator abstrakter Jdeen als Dichter wirk-
lichen Lebens gewescn, ich mcine damit nur, daß er durch dies stärkere
Bctonen der inneren Wesenheit bei aller hohen Gestaltungskraft seiner
Kunst die naive Realität seiner Körperwelt doch oft schwächt, indem
er sie zu stark geistig durchleuchtet. Es ist, als sähen wir manchmal,
wie stellenweise selbst bei der Brunhilde der Nibelungen, durch die
lebensvollen Körper seiner Menschen hindurch eine Geisterschrift er-
schimmern: „ich bedeute". Ja, in den Jugendwerken Hebbels wie in
der „Judith" und „Genovefa" wird's einem manchmal schier, als quölle
diese Schrift seinen Leuten gleich den Spruchbändern auf altdeutschen
Bildern zum eignen Munde heraus. Der metaphysische Liebesjubel
Albrechts in der „Agnes Bernauer" gehört wohl auch hierher. Und
wenn diese Eigentümlichkeit Hebbels in seinen späteren Werken auch
immer weniger schroff hervortritt, bleiben tut sie ihm doch. Jch für
mein Teil möchte sie nun auch durchaus nicht vermisscn, ist sie doch
eben auch nur eine Folge jenes nordisch-germanischen Tiefsinns, als
dessen gewaltigster Vertreter in seinen unschätzbaren Tagcbüchern wie
in scinen Kunstwerken Hebbel ganz einzig dasteht. Klar halten abcr
müssen wir's uns deswegen nicht minder, daß diese Besonderheit auf
künstlerischem Gebiete zu einer gewissen Einseitigkeit führt, die sein
Reich scharf von der vollendeten blühenden Geisteskörperlichkeit in den
Kunstwerken unsrer Größten, wie Shakespere und zum Teil auch
Goethe, trennt.

Nehmen wir noch dazu, daß die schroff herbe Männlichkeit seiner
Natur Hebbel manchmal zu einer etwas dogmatisch anmutenden Starr-
heit veranlaßt, und bringen wir weiter in Anschlag, wie gern es den
Wagemütigen immer wieder in die düsteren Abgründc des Seins zieht,
so werden wir wohl ohne weitercs annehmen dürfen, daß seiner Auf-
nahme seitens breitcrer Schichten unsres Volkes bedeutende, wenn
auch gcwiß nicht unüberstcigliche Hindernisse im Wege stehn. Klagt
doch selbst ein Otto Ludwig immer wicder über den „Totenkopf",
der ihm bei Hebbel entgegengrinse, und der weiche, ästhetische „Stuben-
mensch" Heyse sicht bekanntlich seine Phantasie „unter dem Eise brüten".
Und nun müssen unsre Münchner „Finken" in einer Zeit, wo cndlich,
endlich allerorten das Jnteresse für den schmählich langc Verkannten
sich stärker zu rcgen beginnt, ausgercchnet mit dem unglücklichsten
aller Stücke Hebbels daherkommen, grad' als müßte die erwachende
Teilnahme nun aber auch schleunigst die abschreckende Brause über
den Kopf bekommen. Hier, mit der „Julia", ist meines Erachtens
Hebbel einmal wirklich geschehen, was ihm der Flachsinn als ent-
wertcndes Charakteristikum für sein ganzes Schaffen anhängen möchte:
er hat hier nicht ein Stück Welt dentend dargestellt, sondern, wie sich
sein Biograph Kuh anschaulich ausdrückt, Gedankenprozesse in
Urnen beigesetzt. Auch geht das Stück dem Jdcengehalt nach weniger
als sonst cin Hebbclsches in jenc Tiefe, wo das elementar Gegebene,
dic Charaktere dcr Menschen in erster Reihe als Schöpfer ihrer Schick-
salc hervortreten: es beschäftigt sich mehr mit den Opfern sekundärer
Erscheiuungen, mit dem Unglück infolge sozialcr Mißstände und
schlimmer Zufallsverkettungen, die mit dem Menschen spielen. Hebbel

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