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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Zur Hebbel-Propaganda
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0022

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doch auf das Deutlichste von einem lebensabgewandten Sichabarbciten
der Phantasie auf ein deutlich vorher abgestecktes abstraktes Ziel hin.
Wo in aller Welt und in allen Zeiten wäre wohl die Gestaltungs-
kraft zu finden, die solchem künstlicheu Präparat den Schein wahren
Lebens mitzuteilen vermöchte? Wie ungeheuer groß müßte schon die
Darstellungskunst sein, die uns durch Belebung des Einzelnen für
das Erkünstelte des Ganzen entschädigte! Jmmerhin könnte so etwas
in einem Roman, der die Möglichkeit breitester Entwicklung ge-
stattet, noch eher gelingen, nun aber denke man sich die ganze lange
begebnisreiche Borgeschichte, die dem besondern Schicksal der Lieben-
den vorangeht, mit all der Fülle absonderlicher und verwickelter
Nebenumstände, die zum Verständnis der einzelnen Charaktere hier
notwendig sind, in ein Drama eng zusammengepreßt! Jst es ein
Wunder, daß so das Leben der eigentlichen Handlung unter der
Ueberlast von erklärender Erzählung, wenn wir von den kräftigen
ersten Szenen und einzelnen Höhemomenten absehen, erstickt wird?
Nun noch die Ungeschicklichkeit, daß im letzten, an sich schon von
ungewöhnlichen Dingen strotzenden Aufzug fast sämtliche Auftretende
irgendwie ihren Edelmut hervorkehren müssen, was, so zusammen-
gedrängt, von der Bühne her wie eine monotone Uebertreibung
wirkte — und die Lachlust des Publikums war geweckt. Für den
doppelt peinlich, der weiß, wie viel Wertvolles, ja geradezu Gran-
dioses im Einzelnen doch auch dicses Werk Hebbels dem Verständnis-
fähigcn bei der Lektüre erschließt. Ja das Stück liefert darin, wie
sich auch auf diesem unfruchtbaren Boden und unter diesen ungünstigen
Berhältnissen die dichterische Zeugungskraft Hebbels im Einzelwerk
wenigstens bewährt, indem sie immer wieder die Menschenschablonen
mit einer Fülle von erdkräftigen Einzelzügen versieht, vielleicht den
besten Beweis gegen die „Maikäferlyriker", die über seinen M^ngel
an ursprünglichcr Dichterkraft Klage führen. Auch hat Bartels wohl
recht, wenn cr meint, daß Hebbel in Bertram den Typus des Dekaden-
ten als erster darzustellen unternommen habe, wenn auch diese Ge-
stalt meines Erachtens ihre Geschlossenheit völlig dadurch verliert,
daß ihr der Dichter in dem geistvoll energischen Haß gegen die eigene
Verkommenheit eine viel stärkere Dosis gesunder^ Kraft mitgegeben
hat, als sie psychologisch ertragen kann. So zeugen auch die
Notbrücken noch, die Hebbel schlägt, so wenig sie ihren er-
zwungenen Charakter verleugnen können, vom Geist des ge-
dankenfruchtbarcn Meisters. Und ein Stück seines Besten, seiner
eigentümlich herben Größe hat Hebbel bei der Schilderung des hals-
ftarrig-grimmigen, mannesstolzen Tobaldi niedergelegt, der alles
Glück, das ihm widerfährt, statt sich ihm im ruhevollen Genießen
hinzugeben, erst recht als einen Ansporn empfindet, sich seiner durch
wagemutige Tat uun auch wert zu machen. Lcopold wcbcr.

lo

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