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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Obrist, Hermann: Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0037

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beibringen ließe. Wo aber sollen solche Geschmacks- und Erkenntnis-
kurse abgehalten werdcn? Doch bloß in der Schulc. Die Schnle
ist also der Ort, wo Geschmack, Können nnd Kcnncn der Jugend
entwickelt werden sollte.

Einige neue Möglichkciten im Kunsthandwcrk liegcn also in der
neuen Schule! Wir sagen ausdrücklich in der neuen Schule. Denn
haben dic altcn, die jetzt drcißig Jahre bestanden haben, das neue
deutsche Kunsthandwerk erzeugt? Jst es nicht vielmehr trotz ihrer
entstanden? Haben nicht die raschen Einflüsse des Auslandes, und
im Jnlande die resolute Tätigkeit einiger weniger schöpferischer Köpfe
die ganze Umwandlung bewirkt, nämlich das Hervorbrcchen neuer
struktiver Formen, neuer Techniken, neuer Materialien, neuer Orna-
mente, neucn dckorativen Lebens? Und dennoch wissen wir, daß
es auf die Dauer nur die Schule sein kann, welche die Masse der
Bevölkerung emporzieht auch im Reiche des Kunsthandwerks. Daß
dic Schule dreißig Jahre lang den falschen, wcil nur indirekten Weg
des historischen Unterrichts und des Borlagengcistes gegangen ist, nur
um zu entdecken, daß sie weder das Handwcrk selber entwickelte, noch
die ursprüngliche schöpferische Erfindungsader im Volke zum Quellen
brachte, sondern nur sehr auf Umwegen Segen stiftete, das ist aller-
dings cine sehr ernste Sache, bei der wir aber nicht zu lange ver-
weilen wollen.

' Vorbci ist vorbei.

Blicken wir lieber vorwärts.

Die einzig richtigc neue Möglichkeit der staatlichcn Lehrwerk-
stättcn, wo zuerst das Handwerk und dann die Kunst gelehrt wird,
ist cndlich einmal in Stnttgart zur Tat geworden. Freuen wir uns
dessen und schreitcn wir wciter auf dicsem psychologisch richtigen Wcge.
Denn das ist nur dcr Anfang der neuen Möglichkeit. Dic ganze
Auffassung einer kunstgewerblichen Schule wird überhaupt eine tiefe
Hmwandlung durchmachen müssen. Man wird nach Analogie unserer
Ikniversitätcn auch hicr dcn Typ dcs Professors, wie er dort besteht,
cntwickeln müssen, und ihn neben den technischen Fachlehrer stellen
müssen, wenn cin produktiver Fortschritt eintreten soll. An der
Universität ist der Professor eben nicht bloß dazu da, der Jugend
Lwangsweise beizubringen, in welchem Stile etwas gemacht werden
soll oder wie man es immer gemacht hat, sondern Millionen und
Milliarden sind dort ansgegeben worden gerade nm in Laboratorien
und Seminarien zu forschen um des Forschcns willen, um die Er«
kenntnis zu fördern, auch auf die Gefahr hin, die selbstverständlich
nninerwährend eintritt, daß das Bestehende umgestoßen wird. Vor-
erst ohne praktische bürgerliche Zwecke zeitigt doch diese Art Wissen-
schaft zu treiben zuletzt durch die Anwendung des Erkannten in der
Praxis die erstaunlichstcn Früchte. So soll auch der kunstgewerbliche
Profcssor dcr Zukunft gestellt sein. Er soll seine Stellung, seinen
^halt und alle Subsidien gerade zu dem Zweckc erhalten, neue
^Röglichkeiten im Kunsthandwerke, neue Formen, neue Konstruk-
tionen, neue Materialbehandlungen, neue Ornamentc, neue dekora-
iive Probleme zu entdecken und sie nm ihrer selbst willen und aus
schöpferischen Trieben heraus auszugestalten in dcr bestimmten Zu-

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