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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0050

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im »Deutschen Theater" aufgeführt
wurde.

Jn die Welt der Renaissance ist
wohl die Handlung verlegt; es bleibt
aber nur beim Renaissance-Kostüm.
Jm übrigen fügt sich das Drama dem
leisen, elegischen Grundcharakter der
gegenwärtigen Wiener Poesie ein. Mehr
nervöse Sensibilität als rechtschaffene
Blutwärme; vielerlei Raffincmcnt im
Denken und Sinnen, aber man stöht
nicht entschlosscn bis auf den Grund
einer tragischen Jdee. So erhält die
jüngsteElegie vonSchnitzler auch etwas
vonder „Schönheit derBleichsüchtigen",
wiewohl Schnitzler in dem ^Schleier
der Beatrice* gewiß nicht mit ihr ko-
kettieren will.

Jhn hat der Gcgensatz zwischen den
sorglos Lebenden und den Grüblern
mit ihren schcuen,cwigfragendenAugcn
gcreizt. Beatrice, das blühcnde Erden-
kind, kann zu manchem Augenblicke
sagen: Verweile doch, du bist so schön.
Jhrem Dichter, dem jungen Edelmann
aus Bologna, ist's verwehrt. Den
Ueberfeinerten stört ein Hauch. Er
zerpflückt seine und der anderen Ge-
fühle, Jlluston um Jllusion verrinnt
und ihm, dem Peinlichen wird alle Lust
vergällt. Nach seinem selbsthcrrlichen
Mädchenideal mißt er, immer ängst-
lich prüfend, seine Beatrice, und da
dies lebhafte, begehrliche Kind dem
ersehnten Jdealbild nicht nahe kommen
kann, liegt für den Dichter die Welt
in Trümmern. Er war stets von dem
Gefühl besessen, den barmherzigen
Schleier, der die Erdendinge umgibt,
zu zerreißcn; und dies Gefühl ver-
nichtet ihn.

Gerade die irdisch-derbe, die naive
Gestalt der Beatrice huscht mehr sche-
mengleich über die Bretter. Das er-
höht den Eindruck nachdenklichen Raf-
finements und schädigt, ja verwirrt
mitunter die sinnlich-künstlerische Be-
deutung der Tragödie. Der schwer-
mütige Renaissance-Dichter bei Schnitz-
ler hat manchen an verwandte Ge-

staltcn Hebbels, an die Mariamne-
tragüdie z. B. erinnert. Die Ver-
rvandtschast ist da, nur ist sis nicht
innig. HebbelS morgenländischerFürst
in der Mariamne leidet, so will mir
scheinen, im letzten Grunde an schwcrem
Geblüt. Seine dunkle Tragik greift
ganz andcrs an das Gemüt, als die
Unruhe des geistreichen Melancholikers,
des unbcfriedigten Iünglings aus Bo-
logna.

Eine Tragödie Wilbrandts-
„Timandra", die vor mehreren Jahren
schon entstanden war, erlebte im Ber-
liner Thcater die erste Aufführung.
Sie gibt zu näherer Erörterung keinen
Anlaß. Berstandesspiel, kluge Kom-
bination habcn engeren Anteil an ihr,
als intensiv künstlerische Anschauung.
Wenn man durchauS „registrieren"' will,
so könnte man die „Timandra" den
Gelehrten-Dramen zurechnen, in denen
große geschichtliche Vorgänge „bühncn-
rationalistisch" erläutert werden. Jn
der ^Timandra" muß der Tod des
Sokrates herhalten. Durch die un-
gestüme Liebesleidenschaft Timandras
wird der Opfertod des Sokrates herbei-
geführt. Timandra verzchrt sich für
Plato, den Brudcr ihres Gatten. Der
bedachtsameSokrates will seinen jungen
Liebling Plato vor Timandra retten,
weil er seine geistige Größe fühlt,
und es gelingt ihm, Plato und Ti-
mandra zu trennen. Die Rache der
Rasenden trisst den unglücklichen So-
krates. Daß man doch mit den Ver-
suchen enden wollte, große Kulturvor-
gänge mit kleinen trüben Menschlich-
keiten versetzt auf dem Theater von
heute darzustellen! Seicn sie noch so
geistreich aufgebaut, sie erinnern doch
an die veraltete Weise, gcistig-wirt-
schastliche Erscheinungen, geschichtliche
Ereignisse von weittragender Kraft
auf enge Jntriguen, geringe Ursachen
und Aehnliches mehr zurückzuführen.

Sonst gab es auf Berliner Bühnen
noch mancherlei Neuigkeiten; aber eben
nur Neuigkeiten. Zu Ostern sind sie

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