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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI issue:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Avenarius, Ferdinand: Theaterzensur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0072

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werden könnte. Judas erhängt sich, nachdem Jesus am Kreuze ge-
storben ist. Maria aber lebt weiter in der Gewißheit der verheißenen
Wiederkehr des Herrn."

Wir lesen in der Begründung weiter und treffen abermals auf
Anschauungen, die das aufrichtige Bemühen nach unbefangener Be-
urteilung zeigen. „Daß in Schauspielen, die zur Aufführung be-
stimmt und aufgeführt sind, Personen der biblischen Geschichte Eigen-
schaften, Handlungen und Beweggründe ihres Tuns oder Unterlassens
angedichtet werden, von denen die Bibel selbst nichts weiß, ist zu den
verschiedensten Zwecken: um die biblische Geschichte der Menge näher
zu bringen und verständlicher zu machen, behufs besserer Erklärung
einzelner Vorgänge, zur schöneren dichterischen Ausgestaltung usw.,
von den mittelalterlichen Mysterien und den Passionsspielen an bis
in dic neueste Zeit hinein geschehen. Es ist insbesondere das Problem,
wie Judas Jscharioth zum Verräter werden konnte, schon anderweit
in Form eines Dramas psychologisch tiefer als durch die 30 Silber-
linge zu lösen versucht worden. Hiergegen ist auch vom Standpunkte
des A 10 aus an sich nichts einzuwenden. Erst die Art und Weise,
wie der biblische Stoff verwendet worden ist, und die äußeren Um-
stände, unter denen dies geschieht, können ein polizeiliches Einschreiten
auf Grund des Z 10 rechtfertigen."

Nun aber kommt der Absatz, der aus den Prämissen den Schluß
zicht: „Jn dem verbotenen Drama ist nun das, was den christlich-
religiösen Sinn am tiefsten ergreift und auch nach christlicher Lehre
die Grundlage der gesamten christlichen Religion bildet, nämlich die
Leidensgeschichte Christi und die Erlösung der Menschheit durch ihn,
nicht bloß mit vielem dichterischen, frci erfundenen Beiwerk über-
wuchernd umgeben, sondcrn sogar mit den niedrigsten und verwerf-
lichsten menschlichen Trieben in enge Verbindnng gebracht. Die
sündige Maria glaubt, durch ihre Schönheit auf Christus Eindruck
machen, dcr Hohepriester, ihn dnrch Marias Reize vcrführen zu können.
Das Liebesverhältnis zwischen Judas Jscharioth und Maria, und des
ersteren Eifersucht tragen dazu bei, daß der Heiland verraten und
gekreuzigt wird. Der sinnliche Flavins und die schvn bekehrte Maria
halten es für möglich, daß Christus anf den Plan zu seiner
Befreiung eingehen und durch das unrechte Handeln des einen und
eine neue Sünde der anderen vor dem Tode bewahrt werden könne,
und dem Zuschauer wird so der Gedanke an eine Abhängigkeit
des Erlösungswerkes von den Entschließungen an-
derer, namentlich denen der früheren großen Sünderin Maria,
nahegelegt.

Ein Stück, dessen Anfführung einen derartigen Eindruck auf
den Zuschauer machen muß, stellt sich als ein Angriff auf die
christliche Neligion dar. Diese aber bildet im preußischen Staate
nach seiner gcschichtlichen und verfassungsgemäßen Gestaltung einen
Teil der öffcntlichen Ordnung im Sinne des Z 10. Jhr Schutz fällt
daher unter dcn Z 10."

Heyses Stück beschäftigt sich durchaus niit der Charakterentwick-
lung der Maria von Magdala; die übrigen Gestalten des Werks
dienen dem, so weit sie auftreten; von Jesus von Nazareth hören

2. Axrilheft tSos

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