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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
DOI Artikel:
Obrist, Hermann: Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0088

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Typs, der aussieht, als wäre er ausschließlich für den Geschmack
etwa eines Feuerwehrmannes erfunden worden, daß sich weder der
Bürger noch der Fürst mehr vorstellen kann, daß es noch viele anderc,
noch gar nicht geborene Typen geben könnte. Bringt man ihm nun
etwas, das er noch nicht kennt, so erschrickt er; er hält sich an
das, was an das erinnert, was er schon kennt, und da er in der
Mehrzahl ist, behält er recht. — Aber auch wir Bildhauer kommen
darin nicht recht vorwärts. Zwar haben wir dieses ewige Variieren
des Typus des Reiterstandbildes mit angeklebten Allegorien furchtbar
satt, das jahrlange Modellieren von Pserdebeinen, Hosen, Draperien
und Lorbeerkränzen ist uns maßlos zuwider. Wie aber sollen wir
aus der Missre herauskommen?

Es gibt kaum eine Form der öffentlichen Kunstpslege, die so
wichtig sein könnte, wie die der monumentalen Denkmäler. Sie sollen
uns ja unsere großen Männer stets vor Augen führen, sollen sie
uns nahebringen, lieb und wert machen, sie sollen uns die Macht
oder das Geniale ihrer Persönlichkeit cindringlich kundgeben, offen-
bar machen. Tun sie das nun? Was sagt uns denn eines der üblichen
auf Termin gelieferten Reiterstandbilder Großes aus? Aus der Ent-
fernung, wo alleiu der Aufbau wirkt, kann man die Gesichtszüge
des Mannes gar nicht erkenuen, und aus der Nühe sieht man eben
nur den Bauch des Pferdes. Die Allegorien des Krieges, des Friedens,
des Ruhmes, des Vaterlandes sehen sich bei allen notgedrungen ver-
zweifelt ähnlich und könnteu ruhig vertauscht werden, ohne den üb-
lichen patriotischen Nimbus zu stören. Die Männer aber, die auf
diese Weise verherrlicht werden sollen, die waren doch untereinander
sehr verschieden, nicht wahr? Warum wird uns denn nicht dieses
offenbar gemacht? Nehmcn wir irgend ein Beispiel, das wir kon-
trollieren können, wobei ich aber nochmals darauf hinweisen möchte,
daß wir hier wie überall nicht kritisieren um zu kritisieren, sondern
um herauszubekommen, ob und wie man e's besser machen könnte.

Wenn wir das Lessingdenkmal im Berliner Tiergarten betrachten,
so sehen wir auf einem bewegten Rokokosockel einen Mann in eleganter
Rokokotracht in salonmäßiger Haltung stehen. Ueberall wimmelt es
von Rokokokartuschen. Ein wildbewegtes Rokokogitter umschließt das
Ganze. Wenn wir nicht mit einiger Mühe den Namen „Lessing"
entzifferten, so würden wir ohne weiteres vermuten, daß hier ein
eleganter Diplomat aus der Rokokozcit dargestellt würde oder ein
Salonarzt aus der damaligen Zeit.

Und das soll ein Lessingdcnkmal sein? Lessing ist ja gerade
der Todfeind des Rokoko gewescn, der stahlharte, eisig nüchterne,
rassigste Bekämpfer des Rokoko, ein spitzer diamantharter Gesteins-
bohrer, ein trainierter gewandter Faustkämpfer, ein harter kalvi-
nistischer sarkastischer Bauernkopf, der sich kein x für ein u vormachen
ließ, ein Mann, der gerade den ganzen verschnörkelten Kulturaufbau,
den wir hier in diesem Denkmal erblicken, unterminiert und ge-
sprengt hat. Und justament diesen Mann stellt man in cine typische
Rokokoplantage und läßt das Schmiedeeisen bacchantisch um ihn tanzen!
Wie würde er selber sarkastisch höhnen, wenn er sich so sehen könnte!

Gab es denn gar keine andere Möglichkeit, ein Lessingdenkmal

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