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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
DOI Artikel:
Obrist, Hermann: Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0089

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herzustellen, als gerade auf diese Art? Wir glauben, es wäre sehr
gut möglich gewesen. Entweder man versinnbildlichte gerade den
schueidigen Kampf dieses harten, wahren, deutschen Kopfes mit dem
welschen Rokokogeiste des Jahrhunderts allegorisch, oder man hätte,
was noch besser gewesen wäre, einen Denkmalsaufbau schaffeu können,
scharfkantig, hart, ernst, streng und doch leideuschaftlich in seinem Auf-
streben. Darin die Büste Lessings, den Kopf groß genug, daß man
ihn auch aus der Entfernung scharf unterscheiden konnte. Der Aufbau,
die scharfe architektonische Gliederung, die harte kantige Plastik, das
alles, das Leben dieser Formen hätte den Geist Lessings versinnbild-
lichen sollen, und zwar so stark und eindringlich, daß der Wanderer
hätte stehen bleiben müssen, gefesselt von der sichtbar gemachten Per-
sönlichkeit eines deutschen Mannes. So hätte man es machen können.
— Doch wie weit sind wir noch entfernt von solchen neuen Möglich-
keiten! Lächeln doch sogar unsere Künstler oft genug, wenn man ihnen
davon redet, daß man durch die Formensprache allein schon starke
Gefühle erregen könne und den Charakter der Dinge auch des Men-
schengeistes sichtbar und offenbar machen könne. So aber werden
Denkmäler gemacht wie dieses Denkmal gemacht wurde: der Mann
hat zur Rokokozeit gelebt, also wird ein Rokokodenkmal gemacht. Histo-
risch äußerlich richtig. Geistig total auf den Kopf gestellt. Und so
will man Lessing unserem Volke näher bringen? Um Rokoko zu sehen,
braucht man nicht in den Tiergarten zu gehen. Davou sind unsere
Cafßs voll genug. Und von solchen Denkmälern wimmelt es in deut-
schen Landen. Kein Land ist so reich an Denkmälern und so arm
an geistig-plastischer Kunst, wie das unsrige. Das ist nun nichts
Neues, wir wissen es alle, und dennoch, dennoch geht es immer weiter.
Es ist doch keine unwichtige Sache, die Milliarden, die hierfür aus-
gegeben worden sind, und vom patriotischen Standpunkte aus scheinen
es unsere Gemeinden, unsere Vereine und der Staat sehr ernst zu
meinen; warum nicht vom geistigen und künstlerischen Standpunkte
aus! Sagen wir es getrost: Jn gewisser Weise ist es unsittlich, das
Land mit derartigen konventionellen Gebilden zu bedecken, es ist in-
telektuell unsittlich und eine geistige Fälschung. Es ist auch psychisch-
volkswirtschaftlich nicht weise gehandelt, wenn von seiten der Ge-
meinden immer wieder aus Angst vor dem Neuen auf die schaffen-
den Bildhauer ein Druck ausgellbt wird, der sie geradezu absichtlich
verhindert, etwas iu Form und Jnhalt Vertieftes zu bilden, was
selbstredend sofort schon aus dem Kontraste mit Bestehendem „auf-
fallend" sein würde und sein müßte.

Nochmals sagen wir: Warum lassen wir uns das gefallen? Wir
Gebildeten haben doch oft genug Gelegenheit gehabt, schlimme Dinge
bei Zeiten zu verhindern. Eine Zeit, wo tausende von Vereinen
gegen zwanzig Worte eines ausländischen Ministers protestieren, eine
Zeit, wo hunderte von Aerzten auf einmal streiken wie in München,
eine Zeit, wo ein Mann wie Gurlitt hunderte von Unterschriften
sammelt, um gegen die törichte Restaurierung des Heidelberger Schlosses
zu protestieren, eine solche Zeit sollte es doch auch ermöglichen, gegen
Denkmäler, die Millionen kosten, zu protestieren, ehe sie errichtet
werden. — Die Entwürfe für das Kaiser Wilhelm-Denkmal in Berlin

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Kunstwart
 
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