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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
DOI Artikel:
Obrist, Hermann: Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0094

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dem Aufwandc der größten technischen Geschicklichkeit eine rasch er-
haschte und oft nur hingestrichene Jmpression eines Teiches im Grune-
wald geben? Sollte ein Jahrhundert gewaltig erobernder Erfor-
schung unserer unendlich reichen und gewaltigen Mutter Erde keine
anderen göttlichen Möglichkeiten für unsere Landschafter gezeitigt
haben als der Jmpressionismus rassiger Pariser, die wir als echte
Deutsche nervös-eilfertig kopieren? Sollten fünf Jahrtausende mensch-
licher Kultur den Menschen zu etwas so Uninteressantem gemacht haben,
daß es sich nicht mehr verlohnte, sein Antlitz in der Porträtkunst
zu etwas anderem zu benützen als zu einem Problem von Farben-
flecken nach Pariser Art! Sollten Dürer und Holbein mit ihren un-
sterblichen vertieften charakterisierenden Porträts so sehr auf dem Holz-
wege gewcsen sein, daß es eincs jungen deutschcn Malcrs unwürdig
wäre, diese selben Wege zu wandeln?

Sie hatten keine Farbe, sie konnten nicht malerisch malen?

Gut: man zeichne wie sie und hauche den sinnlichen Reiz der
Farbe noch darüber, man wende alle neuen Errungenschaften der
Malerei der letzten dreißig Jahre an und übertreffe sie, statt so weit
hinter ihnen zurückzustehen in der göttlichen Kunst, den lebenden
Menschen zu konterfeien. Bildende Kunst soll uns doch Gebilde
geben, nicht Jmpressionen, die bloßen Häute über den Gebilden. Wo
sind nun aber solche Porträts in Deutschland, wo sind solche Künstler?
Jst es das Talent, was ihnen fchlt? Was ist Talent? Nein, der
Ernst fehlt, das tiefe menschlichc Jnteresse an dem menschlichen Wesen
vor ihnen, die leidenschaftliche Vertiefung in die Natur vor ihnen,
die Fähigkeit, aus der Natur mehr herauszuholen, als der gewöhn-
liche Mensch darin zu sehen vermag, so auch aus dcm Menschen vor
ihm das seelisch Tiefste, den heimischen Charakter sichtbar zu machen
für uns alle, nicht bloh die Farbenflecke seiner Haut.

Auch hier sollten sein statt rascher Jmpression vertiefte Ex-
Prcssion und Steigerung des Wesens.

Das ist, was uns fehlt, das ist, wozu die jungen deutschcn
Künstlcr nicht gelangen, so lange das Ateliergeschwätz und das Cafo-
leben, so lange die Eifersucht, das Lauern auf Aufträge, der Ruin
des Amusements und die Hetze der Ausstellungen sie zersplittert.

Wie, die Armut hindere sie?

Von 1000 Künstlern früherer Jahrhundcrte waren 950 arm,
und sie haben es doch gckonnt.

Und wie sie leiden, diese Künstler, wie sie iminer wieder zu-
sammenbrechen unter dem Nichtkönnen dessen, was sie möchten!

Aber nicht einmal ihre eignen Leiden können sie uns so sicht-
bar machen, daß wir sie mitzufühlen vermöchten und sie dadurch
lieben könnten.

Die rein äußerliche Missre des Nächsten, das hat uns der Na-
turalismus der letzten fünfzehn Jahre vorzüglich gezeigt, das gibt
uns jeden Montag der Simplizissimus von neuem wieder. — Ge-
wiß, auch das sind künstlerische Leistungen; sie können sogar Leistungen
ersten Ranges sein. Aber wie engumschrieben und dürftig ist ihr
Eebiet, aus dem sie nicht herauskommen!

Die schwere Qual des inneren Leidens aber, wer macht uns

2. Axrilhest ,sos

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