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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0112

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„Bismarck gegenüber" aufrecht zu erhalten. Wenn Se. Majestät nicht
auf Grund eigner Ueberzeugüng, sondern weiblicher Bearbeitung wider-
stand, so konnte ich dies daran erkennen, daß seine Argumente un-
sachlich und unlogisch waren. Dann endete eine solche Erörterung,
wenn ein Gegenargumcnt nicht mehr zu finden war, wohl mit der
Wendung: „Ei der Tausend, da muß ich doch sehr bitten." Jch
wußte dann, daß ich nicht den Kaiser, sondern die Gemalin mir gegen-
über gehabt hatte.

Der Kaiser hatte das Gefühl davon und machte in den letzten
Jahren seines Lebens mir gegenüber kein Geheimniß aus seinen häus-
lichen Beziehungen, beriet mit mir, welche Wege und Formen zu
wählen seien, um seinen häuslichen Frieden ohne Schädignng der
Staatsinteressen zu schonen; „der Feuerkopf" Pflegte der hohe Herr
in vertraulichen, aus Verdruß, Respect und Wohlwollen gemischten
Stimmungen die Gemalin zu bezeichnen und diesen Ansdruck mit einer
Handbewegung zu begleiten, die etwa sagen wollte: „Jch kann nichts
ändern." Jch fand diese Bezeichnung außerordentlich trefsend; die
Königin war, so lange nicht phpsische Gefahren drohten, eine muthige
Frau, getragen von einem hohen Pflichtgefühl, aber auf Grund rhres
königlichen Empfindens abgeneigt, andre Autoritäten als die ihrige
gewähren zu lassen.

(Kaiserin Augusta.)

Die Prinzessin Augusta hat aus ihrer weimarischen Ju-
gendzeit bis an ihr Lebensende den Eindruck bewahrt, daß sranzö-
sische und noch mehr englische Autoritäten und Personen den ein-
heimischen überlegen seien. Sie war darin echt deutschen Blutes, daß
sich an ihr unsre nationale Art bewährte, welche in der Redensart
ihren schärfsten Ausdruck findet: „Das ist nicht weit her, taugt also
nichts." Trotz Goethe, Schiller und allen andern Größen in den
elyseischen Gefilden von Weimar war doch diese geistig hervorragende
Residenz nicht frei von dem Alp, der bis zur Gegenwart auf unserm
Nationalgefühl gelastet hat: daß ein Franzose nnd vollends ein Eng-
länder durch seine Nationalität und Geburt ein vornehmeres Wesen
sei als der Deutsche, und daß der Beifall der öffentlichen Meinung
von Paris und London ein authentischeres Zeugniß des eignen Werthes
bilde, als unser eignes Bewußtsein. Die Kaiserin Augusta ist trotz
ihrer geistigen Begabung und trotz der Anerkennung, welche die Be-
thätigung ihres Pflichtgefühls auf verschiednen Gebieten bei uns ge-
funden hat, doch von dem Druck dieses Alps niemals vollständig frei
geworden; ein sichrer Franzose mit geläufigem Französisch * impo-
nirte ihr, und ein Engländer hatte bis zum Gegenbeweise die Ver-
muthung für sich, daß er in Deutschland als vornehmer Mann zu
behandeln sei. So ward es in Weimar vor 70 Jahren gehalten, und
der Nachgeschmack davon hat sich mir in meiner amtlichen Thätigkeit
ost genug fühlbar gemacht.

Als ich einmal den geärgerten und darüber erkrankten Kaiser
des Morgens anfsuchen mußte, um über eine höfische Demonstration
zn Gunsten des Centrums eine unter den obwaltenden Umständen

* Jhr Vorleser Gsrard galt als französischer Spion.

2. Aprilbeft tSOZ di
 
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