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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0113

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dringliche Beschwcrde zu führen, fand ich ihn im Bette und neben
ihm die Kaiserin in ciner Toilette, die darauf schließen ließ, datz sie
erst auf meinc Anmeldung herunter gekommen war. Auf meine Bitte,
mit dem Kaiser allein sprechen zu dürfen, entfernte sie sich, aber nur
bis zu cinem dicht autzerhalb der, vou ihr nicht ganz geschlosseuen
Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich er-
kennen zu lassen, datz sie Alles hörte. Jch lictz mich durch diesen,
nicht dcu ersten, Eiuschüchterungsversuch nicht abhalten, meinen Bor-
trag zu erstatten. An dem Abende desselben Tages war ich in einer
Gesellschaft im Palais. Jhre Majestät redete mich in einer Weise
an, dic mich vermuthen lietz, daß der Kaiser meiue Beschwerde ihr
gegenüber vertreteu hatte. Die Unterhaltung nahm die Wendung,
daß ich die Kaiserin bat, die schon bedenkliche Gesundheit ihres Ge-
mals zu schonen und ihn nicht zwiespältigeu politischen Einwirkungen
auszusetzen. Diese nach höfischen Traditionen unerwartete Andeutung
hatte ciuen merkwürdigen Effect. Jch habe die Kaiserin Augusta in
den: letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie so schön gesehn wie in diesem
Augenblicke; ihre Haltung richtete sich auf, ihr Auge belebte sich zu
eineni Feuer, lvie ich es weder vorher noch uachher erlebt habe. Sie
brach ab, ließ mich stehn und hat, wie ich von einem bcfreundeten
Hofmanne erfuhr, gesagt: „Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut
sehr uugnädig."

(Moltk e.)

Wie lebhaft sein Bedürfniß war, seine militärisch-strategische Nei-
gung und Befähigung praktisch zu bethätigen, habe ich nicht nur bei
dieser Gelegcnheit, sondern auch in den Tagen vor dcm Ausbruche
des böhmischen Krieges beobachtet. Jn beiden Fällen fand ich meinen
militärischen Mitarbeiter im Dienfte des Königs abweichend von seiner
sonstigeu trockncn und schweigsamen Gcwohnheit heiter, belebt, ich kann
sageu, lustig. Jn der Juninacht 1866, in der ich ihn zu mir eingeladen
hatte, um mich zu vergewissern, ob der Aufbruch deS Heeres nicht um
24 Stuuden verfrüht werden könnte, bejahte er die Frage und war
durch die Beschleunigung des Kampfes angenehm erregt. Jndem er
elastischen Schrittes den Salon meiner Frau verlietz, wandte er sich
an der Thür noch einmal um und richtete in ernsthaftem Tone die
Frage an mich: „Wissen Sie, daß die Sachsen die Dresdner Brücke
gesprengt haben?" Aus meinen Ausdruck des Erstaunens und Be-
dauerns crwiderte er: „Aber mit Wasser, wegen Staub." Eine Nei-
gung zu harmlosen Scherzen kam bei ihm iu dienstlichen Beziehungen
wie den unsrigen sehr selten zum Durchbruch. Jn beiden Fällen war
mir, gegenüber der erklärlichen und berechtigten Abneigung an maß-
gebender Stelle, seine Kampflust, seine Schlachtenfreudigkeit für die
Dnrchführung der von mir für nothwendig erkanntcn Politik ein
starker Beistand.

(G o r t s ch a k o w.)

Jch werdc dem Fürsten Gortschakow kaum Unrecht thun, wenn
ich nach meinen mehre Jahrzehntc dauernden Beziehungen zu ihm
annehme, daß die persönliche Rivalität mit mir bei ihm schwerer
wog, als die Jnteressen Rußlands: seine Eitelkeit, seine Eifersucht
gegen mich waren größer als sein Patriotismus.

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Kunstwart
 
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