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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 15 (1. Maiheft 1903)
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Steinhausen, Heinrich: Nochmals von den Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0154

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Daher statt der aus dem wirklich crgriffuen Gemüt sich hervor-
drängenden sinnigen Rede: Schallwort und Wortschwall, statt der Kraft
des Wortes nur sein Wiederhall und dann immer schwächer wcrdend
nur der Wiederhall des Wiederhalls. Kommt ja doch kaum noch der
Schäfer oder der Taglöhner ohne .selbstverständlich" oder ^selbstredend"
aus, ohne „unentwegt" und „zielbewußt", und kann die Verlotterung
des Stils, die Beleidigung des Sprachgeistes, die Gleichgiltigkeit gegen
Wahl und Richtigkeit des Ausdrucks, mit dem unsre Höchstgebildeten
oft unser liebes Deutsch mißhandcln, unmöglich für die zur Nachahmung
immer geneigte und auch ermunterte große Volksgemeinde ohne Schule
bleibcn.*

Freilich, laß den Schäfer von seiner Herde reden, den Handwerker
von seinem Handwerk, die Mutter von ihren Kindern, mit einem Wort:
jeden, nicht ganz Verbildeten, von dem, was ihm vertraut ist, worin
er sich heimisch fühlt, was sein Herz mit Liebe oder Haß, mit Furcht
und Sorge erfüllt: so wird seine Rede ungesucht sich gestalten und per-
sönliche Farbe gewinnen.

Aber nun bedenken wir doch, welcherlei Anlässe sich in der Gegen-
wart zumeist für Fest- und Feierreden ergeben!

Geht es dem Nationaldeutschen da nicht, wie wenn er zur Reichs-
tagswahlurne schreiten soll? Ueber seine Nachbarn wüßte er wohl gut
Bescheid, was in seinem Berufskreise not täte, könnte er wohl beurteilen,
in seiner Gemeinde kennt er die Männer seines Vertrauens; aber
wenn er sich nun über Militär- und Marinebudget, über Schutzzoll,
über langjährige Handelsverträge u. dgl. entscheiden soll, so findet er
sich ratlos und ist unrettbar dem Zufall seines Zeitungsstichworts oder
dem aufgeredeten Glauben an seincn Wahlkandidaten verfallen. Nicht
anders verhält es sich mit unsern Festrednern. Jhrer werden ja gar
nicht oder kaum zu andern Gelegenheiten oerlangt, als zu unsern Sedan-
und andern patriottschen Festen. Volkstümliche, von einem heimatlichen
Gehalte getragene öffentliche, sinnvolle Feiern werden kaum noch irgend-
wo begangen, und was bei einer Fahneänagelung oder sonst im Vereine
gesagt werden kann, ob an der russischen Grenze oder am Bodensee,
wird sich immer wieder in die allgemeinen Wendungen verlaufen, die
man kennt, und, weil die lebendig gefühlte Beziehung zum Jndividuellen
fehlt, ebenso wie die vertraute Anschauung des Ganzen, wird die Gefahr
in die herkömmlichen, geborgten Redensarten, in vielleicht glänzende, aber
nicht durchlichtete, in Prunkrede ohne Wahrrede zu geraten, schwer ver-
meidlich. Daher denn auch allen diesen Kommers-, Jubiläums- und
Weihereden, den gehörten und ganz besonders den gelesenen, kaum ernste
Aufmerksamkeit zugewandt wird; obwohl zu jenen, wenn sie zu Ende
sind, das Hurra und Hoch aus vollen Kehlen niemals fehlt. — —

Fassen wir das bisher Angeführte zusammen, so zeigt sich: die an
unsern Begeisterungsreden, wie sie zumeist sind, aufgewiesenen Mängel

* Unter den Anzeigen der Lehrer einer unsrer Universitäten fand sich
neulich auch folgende Probe von Gelehrtendeutsch. „Uebungen" waren wieder-
holt .über^ ein Fach angeboten und ein Preisthema lautete: ,Worin besteht
der .... Sinn, welchen Wert hat derselbe und wie wird derselbe am an-
gemessensten in uns selbst und durch uns in andern gefördert." Man denke
sich diesen Satz gesprochen!

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