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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI issue:
Heft 15 (1. Maiheft 1903)
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Steinhausen, Heinrich: Nochmals von den Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0155

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sind nicht aus besondern, auf diesem einzelnen Gebiete wirksamen Ursachcir
yerzuleiten, sondern sie erklären sich aus Gebrechen, die unserm gesamten
Kulturstande anhaften. Darum ist's ungerecht, die altklassischen Vorbilder,
wie Bonus will, für die in Begeisterungsreden herrschenden schlechten
Gewohnheiten verantwortlich zu machen und dem humanen Studium
vorzüglich die Herrschaft der gespreizten Nede und des Wohlgefallens am
tönenden Worte Schuld zu geben. Schon deshalb weil die genannten Un-
tugenden den ungclehrten Festrednern nicht weniger häufig eignen, als
den klassisch Gebildeten. Was aber geistloser Unterricht oder eiguer Uu-
geschmack verschulden, kann nicht der Beschäftigung mit der klassischcn
Literatur und Sprache an sich aufgebürdet werden.

Jm Gegenteil, wie die Alten schon einmal den Deutschen diesen
Dienst geleistet haben, so besteht auch heute für die klassische Literatur
die Aufgabe fort, die Gefahren, die unsre Kultur für dcn deutschen Sprach-
geist und die deutsche Rede, besonders die gehobnerer Skimmung mit sich
führt, bekämpfen zu helfen. Freilich, wir nennen die Griechen und
Römer die Alten, ihre Kultur ist unwiderbringlich dahin, ihre Sprache
ist tot; aber kann man von den ragenden Gipfeln ihres Schrifttums
sagen: sie sind versunken im Strom der Geschichte? Und tragen ihre
Mustergebilde nicht viel mehr die Züge unverwelkter Jugend im Angesichte?
Jhre Bildung, wie mannigfach auch Anregungen von außen hinzuge-
kommen sind, war eine eigenwüchsige und, weil so eng mit Volk und
Land verknüpft, die vollkommen entfaltete Blüte ihrer Natur, ihrer Zu-
stände, ihres Lebens. Der Geist des Griechen umspannte in seiner Weise
auch die Welt, aber gleichwie seine Götter ihm Landesgenossen warcn
und all sein Denken heimatlich blieb, so gilt auch dies von seincr Rede
und Sprache, daß sie in der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Aeuße-
rungen und Stilarten immer sagt, was jetzt zu sagen ist, und den Um-
stehenden mit dem Rot unverwelklicher Frische auf den Lippen anspricht.

Gewiß, die Alten sind durchaus nicht immer naiv: ihre Größtcn
waren wohl auch der vollendetsten Redekunst sich bewußt, aber ihre Kunst
schöpft aus dem Vollen und will nie etwas anderes und mehreres sein
als die reinste Gestaltung des in den Seelen oder in der äußeren Wirk-
lichkeit Lebendigen. Können wir also freilich den Geist des Altertums
nie wiedererwecken wollen, so iveht uns doch aus seinem Schrifttum der
Atem einer uns spät Gebornen längst abhanden gekommenen Ursprüng-
lichkeit und innern Wahrheit entgegen, und wir sehn da ein Auge
aufgeschlagen, in dem die ganze Fülle unsres Daseins mit all
seinen Rätseln, Verwunderung, Freude, Entzücken, Furcht, Schrecken
erweckend, sich widerspiegelt. Daher, sind wir längst davon zurück-
gekommen, die bildende Kunst der Alten als Muster anzusehn, deren
Form als ,ewig-gültige" nachzuahmen wäre, verstehen und bewun-
dern wir sie als den wahrsten und herrlichsten Ausdruck ihr es Geistes,
so steht es mit der Literatur der Alten ebenso. Kein Deutscher kann
wie ein Grieche oder Römer denken und fühlen, darum soll er auch
nicht ihre Rede wiederholen oder erneuern wollen. Wohl aber kann der
Eindruck der E ch th eit ihrer Ausdrucksweise unsern Sinn schärfen helfen
für das was wahr, natürlich, angemessen oder erlogen, gemacht, gc-
künstelt in der Rcde ist.

Ferner: je mehr ein Kulturstand noch in der Natur wurzelt,.

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Runstwart
 
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