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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 15 (1. Maiheft 1903)
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Schultze-Naumburg, Paul: Hermann Muthesius über englische Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0164

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(okksdirs), von Douglas, Fordham, Grayson, Ould, William Orden,
C. Clacke u. a. erbant. Wir denken spätcr gerade auf diese Kolonie
noch einmal eingehender zurückzukommen.

Nun ein Wort über den Unterschied zwischen der englischen Tra-
dition und der deutschen. So stark wir auch einen fremdländischen
Reiz empfinden können — der Wunsch, ihn mit unserer heimischen
Schönheit auszutauschcn, braucht daraus nicht hervorzugehen. Wer
all die Bilder, die im Laufe der letzten Jahre mit den „Kultur-
arbeiten" erschienen sind, noch einmal genau betrachtet und sie dann
mit diesen englischcn Bauten vergleicht, wird ohne weiteres den starken
Unterschied empfinden. Wie ich oben schon andeutete, geht ja aller-
dings die Grenzlinie dieser beiden Ueberlieferungen nicht wie eine
Landesgrenze quer durch den Kanal. Die meisten unserer Bilder
warcn Mitteldeutschland, die Minderzahl Süddeutschland entnommen.
Je mehr man sich der nordischen Mste nähert, desto mehr wird sich
der Baucharakter diesem angelsächsischen nähern. Nicht, als ob er
schließlich noch innerhalb Deutschlands derselbe würde. Auch hat ja
unsere ganze Nordküste zudem keinen durchaus einheitlichen Stil, die
Traditivn ändert sich mit jedein Landstrich. Es ist mit dem Baustil
ungefähr so wie mit der Sprache: unsere ganze Mstc spricht platt,
das Platt einer jeden Gegend ist aber wieder anders gefärbt. Platt-
deutsch ist zwar noch nicht englisch, aber trotzdem steht es dem Eng-
lischen so bedeutend näher, als die süddeutsche Mundart, daß es für
den, der beide Sprachen nicht kennt, zunächst beinahe wie eine und
dieselbe klingt.

Es wäre nur ein Verlust, wenn irgend einem Lande ein Stück
von seiner heimatlichen Eigenart verloren ginge. Wenn man diese
großen Glasfenster mit den vielen Sprossen, dem roten Ziegelwerk
und den Pfannendüchern sieht, so meint man die Secluft von der
Küstc herstreichen zu fühlen. Betrachtet man die Abbildungen, die
Mitteldeutschland entnommen waren, so stcllt sich unscrm inneren Auge
sofort eine Umgebung von rauschenden Bächen, Wäldern und wogen-
den Feldern cin, die nichts vom Mcere weiß.

Nachdem das festgestellt ist, läßt sich mit all den Einschrän-
kungen, welche die Nuancen bringen, der große wesentliche Unter-
schied zwischen der englischen und der deutschen Tradition etwa so
umschreiben:

Trotzdem sich diese ganze neuere Profan-Baukunst Englands
im bewußten Gegensatz zu der Gotik befindet, lebt in allen diesen
Bauten doch noch ein gut Stück Mittelalter, während das Charak-
teristischc unserer neueren heimischen bürgerlichen Tradition vom 18.
und vom Beginn des 19. Jahrhunderts vielleicht darin besteht, daß
ein gut Teil klassizistischer, d. h. also antik - griechischer Jdeen un-
lösbar mit ihr verbunden ist. Ausgenommen davon ist nur die Tra-
dition des deutschen Bauernhauses. Mit gutem Grunde, da auch
die bäuerliche Kultur keine oder fast keine klassizistischen Bestandteile
in sich aufgenommen hat. Jm ersten Band der „Kulturarbeiten" beim
Thema Hausbau habe ich mich einmal eingehender darüber ausge-
sprochen. Da gerade unser deutsches Geistesleben an der Hand klas-
sischer Studien erzogen und die schönsten Blüten deutscher Kultur

t. Maiheft 1903

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