Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1903)
DOI Artikel:
Schultze-Naumburg, Paul: Hermann Muthesius über englische Baukunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0163

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wieder ständig in einer bestimmten Bahn arbeiten, nur wenn wir
uns als Teile eines großen Stroms auffasscn, der in einheitlichem
Zuge dahinfließt, zu einer gesnnden Weiterentwicklung der Architektur
gelangen werden. Was ihn hierin von den Gotikern unterschied, war
die Ansicht über den Wiederanknüpfungspunkt. Jene suchten ihn im
Mittelalter, dieser in der Neuzeit. Die gotische Ueberlieferung, so
sagten Norman Shaw und die Queen Anne-Leute, ist tatsächlich er-
storben, die Gotik wieder beleben zu wollen, hieße einen Leichnam
zum Leben zurückrufen wollen. Dagegen lebte noch trotz aller ge-
waltsamen Schwenkungen und Rückblicke der Kunst dieses Jahrhun-
derts im Handwerker von heute ein Rest alter Neberlieferung in einer
Art bürgerlichen Barocks weiter. Diesen Rest galt es eilig auf-
zugreifen.

Vielleicht liegt hierin gerade der wertvollste Teil der Anregung,
den wir aus einem Gebiete, wie dem hier vorgeführten, schöpfen
können. Wenn man bedenkt, welchen herrlichen Reichtum an bürger-
licher Baukunst unsere deutschen Städte noch bergen, welche Schätzc
in den Städten des Harzes, in Sachsen, in Süddeutschland, überall
in Deutschland noch durch das Studium des kleinbürgerlichen Hauses
zu heben sind, so öffnet sich ein weiter Blick anf die Möglichkeit einer
blühenden, kräftig gedeihenden bürgerlichen Bauknnst auch in Deutsch-
land, einer Baukunst, die wahr, sachlich, aufrichtig, farbig und herz-
erfreuend sein kann, wie die englische, wenn wir nur die Ueberlegen-
heit haben, diese Eigenschaften jedem falschen Prunkbedürfnisse vor-
zuziehen, und die Charakterstärke, die Anknüpfung nirgends anders
als bei uns selbst und in unsrer nächsten örtlichen Umgebung zu
suchen."

Wir führen einige Beispiele aus dem mit über hundert Lichtdruck-
tafeln versehenen Werke an, die alle zusammen ein gutes Bild von
der englischen Baukunst geben. Es wird nicht behauptet, daß alle
Bilder des Werkes mustergiltige Bauten sein sollen, Muthesius selbst
teilt diese Ansicht durchaus nicht. Er findet sogar eine Reihe davon
gar nicht gnt, er führt sie nur der Vollständigkeit des Bildes wegen
mit an. Wir unserseits haben natürlich nur solche ausgewählt, die
wir für vortreffliche Werke halten. So zunächst eine Reihe von
Bauten von dem genialen Architekten R. Norman Shaw. Von ihm
ist das Haus eines Künstlers, Abb. 1, Melboury Road 11 in London,
1877 gebaut. Und Abb. 2, eine Malerwerkstätte in Netherhall Gardens,
in Hamp Stead bei London, 1887 gebaut. Der Typus des schlichten
vornehmen englischcn Stadthauses ist Abb. 3, Queens Gate 170 in
London, 1888 erbaut. Das Pfarrhaus der Agneskirche in Liverpool
(Abb. 4), 1885 cbenfalls von N. Shaw gebaut. Ein sehr interes-
santes Haus ist das Volks-Kaffeehaus in. der Foregate Street in
Chester (Abb. 5), 1877 durch John Douglas erbaut. Wer gewisse
Küstenstädte Niederdeutschlands, der Niederlande oder Englands kennt,
wird hier den eigentümlichen Zauber, der zu dem „Milieu" jener Land-
striche gehört, in diesem Bau ganz besonders stark spüren. Auch bei Abb. 7,
der Martins-Bank in Bromley in Kent, 1898 von Ernest Newton
erbaut, tritt dies hervor. Endlich geben wir noch zwei Bilder aus
der berühmten Arbeiterkolonie der Gebrüder Lever in Port Sunlight

128 Aunstwart
 
Annotationen