Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1903)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0166

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
keiner mystischen oder spiritistischen Unterströmung der Zeit mehr ge-
fördert sein wird.

Ueber den Jnhnlt von „Pelleas und Melisande" sagt das Er-
forderliche heute Schönhoff. Der verwitwete und alternde Goland
findet die junge Verirrte im Wald und nimmt sie als sein Weib aufs

Schloß, in ihr aber keimt, ohne daß sie's weiß, Liebe zu seinem

sungen Bruder Pelleas, und in diesem keimt sie zu ihr. Der ganz

greise König Arkel und der ganz junge Uniold, Golands Söhnchen

von seiner ersten Frau, spielen sonst noch als wichtigere Gestalten
in diesem Stücke mit, das vom Anfang bis zum Schluß in Traum-
befangenheit getaucht ist. Es ist alles verschwommen, grau, keiner
der Menschen weiß, was er fühlt, was er will, was er tut, sie selber
spuken eigentlich nur, und in ihnen selber spukt es auch nur von
einem Denken, keiner kann sich je aufraffen zu rechtem Erkennen,
sie erscheinen mitunter geradezu wie schwachsinnig. Es liegt eine er-
drückende Geistesenge über dieser Dichtung des Unbewußten ohne Raum
und Zeit, ohne jeden freien Fernblick, aber mit einem fortwährenden
Ferngefüh! von Unerhörtem, das droht, und mit einer Todesangst, wie
sie nie den Gesunden, nie den Starken quält. Bei der inneren Aehn-
lichkeit dieses Stückes mit all seinen früheren sonst zeigt sich Maeter-
linck von einer Armut, wie man sie bisher mit einem einigermaßen
namhaften Poeten für unvereinbar gehalten hätte. Deshalb aber dürfen
wir doch dic wirklichen Werte des Stücks nicht übersehen. Maeterlinck
gibt so eigentümlich anschaulich, was er gibt, so suggestiv, daß er damit
nicht nur schwächere Köpfe berauscht, sondern ganz gewiß auch stärkere
in hohem Maße zu bannen und zu beschäftigen vermag. Sehr merk-
würdig sind bei ihm die symbolischen Szenen, die in durchans dich-
terischer Weise selbst das Allegorische traumhaft verarbeiten und ver-
bunden mit anderen Anspielungen dem Ganzen eine gewisse Stimmung
des Ahnens mitgeben, die bereitwillige Zuhörer als Zeichen tiefer Be-
deutsamkeit hinnehmen. „Pelleas und Melisande" wird gleich mit einer
solchen eröffnet, und wir drucken sie mit ab. Liest man sie das erste Mal,
mag sie beinahe komisch erscheinen mit ihren Wiederholungen, ihren
banalen Wendungen zwischen den pathetischen (eine Eigentümlichkeit, die
sich bei Maeterlinck übrigens auch sonst findet) und ihrer sonderbaren
Symbolik, und man wird kaum begreifen, daß „das" die Berliner,
die doch nicht alle zu Anna Rothes Kundschaft gehören, so stark ge-
packt hat. Und doch — bleibt einer ganz diesem sonderbaren Reize
verschlossen, wenn er sich ihm nicht von vornherein absichtlich ver-
schließen will? Liest man dann weiter: Kann einer sich ganz dem
Netz von Beziehungen und Andeutungen, ganz diesem Einfluß des
Geflüsterten, Verschwiegenen und Verhaltenen entziehen, das den Dia-
log umwebt? Dazu kommen so zarte Schönheiten, wie die bei
Golands Mahnung an Uniold, den beiden nicht zu nah ins Gesicht
zu leuchten, wodurch auf echt poetische Weise in Golands Seele ge-
leuchtet wird. Das dumpfe Leiden aller spricht ja überhaupt aus
all diesem Schlafwandeln ergreifend genug. Dazwischen begegnen wir
den eigentlich spukhaften Wirkungen, wie dem gruseligen plötzlichen
Niederknieen der gespenstischen „Mägde", durch das Melisandes Tod
verkündet wird. Nicht das „Dramatische", aber auch nicht ein „Lhri-

1Z1

t- Maiheft t90Z
 
Annotationen