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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 16 (2. Maiheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0247

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daß dieser Hinrveis gerade jetzt geschieyt,
ist das Erschcinen zweier weiterer
psychologischer Schriften von Lipps:
,Vom Fühlen, Wollen und Den-
ken" und „Einheiten und Re-
lationen" (I. A, Barth, Leipzig), in
denen die Theorie der Komik ihre tiefere
Begründung erfährt. Die wissenschafr-
liche Literatur über das Wesen des Ko-
mischen ist bekanntlich recht groß; das
Besondere der Lippsschen Auffassung
offenbart die Behauptung, datz das
,Gefühl derKomik" ein eigenartiges
Gefühl sei, datz es also weder mit
Lust oder Unlust identisch sei noch
sich in Wechsel von Lust und Unlust
beim Erleben des komischen Gegen-
standes auflösen lasse. Jn oen beiden
neuen Schristen gibt Lipps eine Theorie
namentlich der Gefühle, die verallge-
meinert, was die Erklärungsweise der
Komik im besonderen kennzeichnet. Er
schlietzt sich nicht der herrschenden Auf-
fassung an, datz zwar unscre Empfin-
dungen und Vorstellungen unendlich
mannigfaltig, unsere Gefühle aber nur
entweder Lust oder Unlust in verschie-
denen Stärkegraden seien. Er bemüht
sich vielmehr um dcn Nachweis, datz
auch unsere Gefühle ebenso nnendlich
mannigfaltig sind wie Empfindungen
und Vorstellungen; Lust und Unlust
seien nur Färbungen, die alle Ge-
fühle annehmen können. Gefühle im
Gegensatz zu Empfindungen und Vor-
stellungen sind nach Lipps die unmittel-
baren Bewußtseinssymptome der Ar-
ten, wie psychische Vorgänge zum Zu-
sammenhange des seelischen Lebens
sich verhaltcn oder wie sie sich in den
psychischen Lebenszusammenhang ein-
fügen. Die Beziehungen der Bewutzt-
seinsinhalte und ebenso ihre Ver-
einheitlichungen sind ferner nach Lipps
nicht aus irgendwelchen Eigenschaften
der Jnhalte verständlich, sondern
lediglich als Produkte der apperzep-
tiven Bctätigung des Jchs, welche
autzerhalb der zusammengefatzten Be-
wutztseinsinhalte Eigenexistenz im Be-

wutztsein haben. Diese Hypothese eines
apperzipierenden Jch, dessen Motive
weder zureichend bestimmbar noch ver-
ständlich sind und das gewissermaßen
über dem geistigen Geschehen und jen-
seits von seinem sachlichen Jnhalt steht,
ist für Lipps bezeichnend; er steht mit
ihr in der modernen wissenschaftlichen
Psychologie nahezu vereinzelt da.

Schon durch ihre Sprache sind die
genannten Bücher nur wissenschaftlich
Gebildeten verständlich. Wir glaubten
immerhin auch an dieser Stelle ihren
Jnhalt kurz andeuten zu sollen, da es
auch unter den Lesern des Kunstwarts
ja sicherlich nicht an „Jnteresscnten"
für diese Forschungen fehlt. L.D.P.

G Das törichte Wort von Paris
als dem „ästhetischen Gewissen"
der Welt, das Maeterlinck in Berlin
gesprochen hat, kann unsers Erachtens
gar nicht genug bekämpft werden,
weil die gründliche Beseitigung dieses
Gedankens eine Vorbedingung selb-
ständiger Kunstentwicklung in Deutsch-
land ist. Aber es findet auch jetzt,
Gottlob, denn doch wcit weniger Gläu-
bige bei uns als früher. Es sreut uns,
auch den Führer der ob ihres Jnter-
nationalismus so vielfach geschmähten
»Jängstdeutschen" hier als Gesinnungs-
genossen zu begrüßen, M. G. Conrad,
den allerdings die Freude an franzö-
sischer Geisteshelle gegcn den Schatten
dort drüben nie blind gemacht hat.
Hören wir, was er jetzt in der „Münch-
ner Zeitung" schreibt:

„Wir lachen darüber wie über einen
alten Aberglaubcn. Das ist unser gan-
zer Widerspruch. Es lohnt sich gar
nicht, auf Einzelnes einzugehn und auf
B öcklin zu verweisen, dem das -ästhe-
tische Gewissen der zivilisierten Welt-
in Frankreich heute noch mit unfähigen
Augen gegenüber steht, oder auf
Wagner, für den die Franzosen das
rechte Ohr erst einige Generationen
nach den Deutschen bekamen, oder auf
Berlioz, der erst auf dem Umwege
über Deutschland den Franzosen mit

lS?

2. Ulaihest t903
 
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