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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 17 (1. Juniheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0280

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Geiste nimmermehr belehrt, wir können von ihm nur angeregt wer-
den" — so irrig, zum mindesten: so einseitig auch dieses Wort Emer-
sons ist, es deutet knapp auf den Wert der ganzen Gattung hin.
Wie wertvoll solch eine Mitteilung von Mensch zu Mensch ist, das
wird dann wohl einfach von dem Reichtum an geistigem Feingehalt
in Hirn und Herz des Essayisten abhängen, und mehr, als von der
objektiven Wahrheit des Gesagten, von der persönlichen Wahrhaftig-
keit, die uns dieses Seelenleben des Sprechers möglichst unverfälscht
mitteilt.

Ein Jndier hat Emerson den Weisen verwandt gefühlt, die in
grauen Zeiten am Ganges wandelten, Herman Grimm wieder hat
ihn den modernsten aller Schriftsteller genannt. Worin das Ge-
heimnis dieses seines Einflusses liege, den Grimm als überwältigend
empfand, hat auch er nach eignem Bekenntnisse nicht klar zu sagen
vermocht, es ist eben das Unumschreibliche seiner Persönlichkeit. Der
Persönlichkeitskultus steht für Emerson auch im Mittelpunkt der Ge-
danken. Er ist Mystiker, der in allem Seelischen und Körperlichen
nur Offenbarungen des grotzen Geistes sieht, in nichts aber eine
gewissere, als in den tiefsten und geheimsten Regungen der eigenen
Seele, die ihm deshalb von allen Autoritäten für den Einzelnen als
die höchste erscheint. Wer ausschließlich ihnen folgt, ist ihm ein „Held",
daß sie für solches Leben Vorbilder sind, macht ihm vielleicht die
höchste Bedeutung der Heldenmenschen aus. Er ist durchaus Aristokrat,
aber nur die Begabung ist ihm Maß des Aristokratischen. Wir
können natürlich an dieser Stelle auf Emersons Gedanken nicht weiter
eingehen, das führte ja auch aus dem Stoffkreise des Kunstwarts
hinaus. Wir konnten hier nur das Allernötigste sagen, nm Unvor-
bereiteten eine allererste Bekanntschaft mit ihm zu erleichtern, wie
sie der folgende Essay vermitteln möchte. Wer sich weiter mit Emer-
son zu beschäftigen wünscht, sei auf die deutschen Ausgaben seiner
Schriften selbst verwiesen. Unsere Verdeutschung ist der Diederichs-
schen entnommen, die auch außerordentlich schön ausgestattet ist. Eine
billigere Uebersetzung mit guten Einleitungen ist in der Hendelschen
„Bibliothek der Gesamtliteratur" erschienen.

Es liegt in unserer Natur, an große Menschen zu glauben.
Wenn die Spielgefährten nnserer Jugend sich plötzlich als Helden,
als Sprossen königlichen Stammes erwiesen — es würde uns nicht
überraschen. Alle Völkersage beginnt mit Halbgöttern, bewegt sich
in erhabenen, dichtungverklärten Höhen; denn Helden müssen auf
Höhen wandeln. Jn den Gautama-Sagen aßen die ersten Menschen
Erde und fanden sie von köstlicher Süße.

Die Natur scheint für die Trefflichen da zu sein. Die Welt
besteht durch die Wahrhaftigkeit guter Menschen: durch sie wird die
Erde ein gesunder Aufenthalt. Wer je mit solchen lebte, der sand
das Leben heiter und nahrhaft. Ja, nur dadurch, daß wir an die
Möglichkeit einer solchen Gemeinschaft glauben, wird uns das Leben
süß und erträglich; darum streben wir stets danach, mit überlegenen
Menschen umzugehen oder wenigstens im Geiste mit ihnen zu ver-
kehren. Wir benennen unsere Kinder und unsere Länder nach ihnen.

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Kunstwart
 
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