Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1903)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Staatliche Autoritäten im Geistesleben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0323

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
halb ihrer Aufgaben liegen. Aber es beeinflußt auch oft genug die Starken
und bringt sie, die in der Menge nicht mitlaufen mögen, leicht in eine
Oppositionsstimmung, welche dann, auch wieder unsachlich, vielleicht
mit einer Art von Trotzkunst auftrumpft. Wie weit sonst die Ver-
fälschung der geistigen Nahrung durch den Einfluß wesensfremder Auto-
ritäten geht, wer will's seststellen? Und wer feststellen, wie oft der
Drang des Volkes nach Kunst in falsche Richtung gelenkt wird, wenn
ihn staatliche Autoritäten vom Echten ab zu gefälligem Nichts oder zu
hohler Tirade weisen? Wir können die Wasser aus dieser Quelle im
großen Flusse unmöglich im Einzelnen erkennen. Aber wir wissen, daß sie
da sein müssen, denn die Quelle sließt.

Nicht nur die Berechtigung hat dcr Staat, sondern ganz gewiß
auch die Verpflichtung, geistige Güter zu pflegen — gerade wir sind es
ja, die seit Jahren nach einer Volkswirtschaft auch der geistigen Güter
rufen. Wenn der Staat der Vertreter der Jnteressen der Allgemeinheit
ist, so ergibt sich ihre Notwendigkeit schlichtweg aus seinem Wesen heraus.
Daß wir vorwärts kommen im Denken und in der Festlegung seiner
Ergebnisse, der Wissenschaft, vorwärts kommen im Fühlen und Schauen
und in ihrer Niederschrift, der Kunst, das Wohl der Allgemeinheit ver-
langt's. Deshalb liegt es in den Aufgaben des Staates, dem Ringen
der Geister den Kampfplatz zu ebnen und die Kämpfer selber zu kräftigen.
Das ist viel; was bis jetzt dafür geschieht, ist wenig. Aber es ist
etwas wesentlich anderes, als wenn der Staat mit seinen Autoritäten
selbst als Kampfrichtcr auftritt odcr zum Kampfrichter eingeladen wird.
Der Staat erhält ja auch die Universitäten und, großen Teils wenigstens,
die Kirchen. Ueber wissenschaftliche und religiöse Wahrheiten kann er
deshalb doch wohl nicht entscheiden, hüchstens über Verdienste etwa der
Gelehrten als Lehrer, der Geistlichen als Beamter. Wenn der Kaiser
Adolf Menzel mit dem schwarzen Adler schmückt wegen seiner Verdienste
um die Hohenzollern-Dynastie, so kann das kein Mensch bemängeln;
wenn er glaubt, er könne einen Künstler als solchen, um seiner Kunst
selber willen mchr als ein andcrer ehren, so irrt er. Jn künst-
lerischen Fragen hat er, weil er Kaiser ist, nicht im mindesten höhere
Autorität, als ein anderer gebildeter Kunstfreund, über dessen Urteil
man rechten kann wie über jedcs. Und kommt der junge Großherzog
in die Goethegesellschaft, so wird er all ihren Mitgliedern ein willkom-
mener Gast sein, aber als ihr „Haupt" werden ihn nur die empfinden,
denen die Sache Nebensache ist. Denn an dieser Sache, soweit sie geistiger
Art, würde auch sein Wegbleiben nicht das Mindeste ändern. Es würde
nur ändern an der Wirkung, an dem Effekt nach außen, aber Aeußer-
lichkeiten für ihr Gebiet durch Jnnerlichkeiten zu verdrängen, sollte ja
doch wohl, wenn wir die Goethegesellschaft recht verstehen, eigentlich
innerhalb ihrer Aufgaben liegen. Beim Gottesdienst gehört auch der
Fürst nur zur Gemeinde, es deutet auf ein unausrottbar natürliches
Empfinden, daß wohl nicht einmal in Byzanz der Priester sich vor dem
Altare auch nach der Hofloge hin verneigt hat.

All unsere Ordensverleihungen, Adelungen, Betitelungen, kurz all
die sogenannten Belohnungen durch die Obrigkeit an freie Geistesarbeiter
in ihrer Eigenschaft als solche gehen jedenfalls von unzuständigen
Autoritäten aus und haben deshalb so wenig etwas Sachliches zu be-

2. Iunihcst

2S5
 
Annotationen