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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Haenel, Erich: Adolf Bayersdorfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0333

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sich um Winckelmann und die Wiederentdeckung der Antike schart.
Aber neben ihm stand als ein Prätendent edelsten Blutes und vielen
der wahre Herrscher des immer kraftvoller seine Grenzen hinaus-
schiebenden Reiches der Konservator der Münchner Alten Pinakothek,
dessen geschriebenes Lebenswerk heute als ein Band von wenig mehr als
400 Seiten vor uns liegt.

Das Publikum, das Zeitungen liest und in den Weihnachts-
katalogen den neuesten Publikationen unserer Literaturpotentaten
nachspürt, wird Adolf Bayersdorfers Namen nicht kennen.
Und in diesem Falle liegt die Schuld nicht einmal anf der Seite
des Publikums. Der Freund Böcklins, Hildebrands nnd Leibls, der
Gesinnungsgenosse Martin Greifs und Karl du Prels ist nie in den
Gesichtskreis der großen Menge getreten. Er blieb zeit seines Lebens
einer von denen, die in der Oeffentlichkeit sich unbehaglich fühlen, kein
Einsamer, nur ein Jnnerlicher, kein Tatmensch, sondern ein ästhetisch
veranlagter Universalist, dessen Reichtum innerer Gesichte nur eben
den alltäglichen Weg in die laute Welt nicht fand. Ein Mensch, dem
es nie gelungen ist, sein äußeres Leben mit kraftvoller Hand zu
meistern, dessen Abulie ihn in die Stellung eines Museumsunterbe-
amten bannte, ihn, der berufen gewesen wäre, das Haupt und die
Seele eines umfassenden Kreises seiner Wissenschaft zu sein. Aber
war er das nicht? Galt nicht der literarisch so unbekannte Münchner
Gelehrte als erste und höchste Autorität unter seinen Fachgenossen?
Kannten nicht alle, die mit ihm in Berührung kamen, die geniale
Unbeschränktheit seines geistigen Horizontes, die schneidende Eindring-
lichkeit seiner Deduktionen, die wunderbar beschwingte Flugkraft seiner
Jntuition? Wo immer der kleine Mann mit dem sarkastisch-gemüt-
vollen Zug um den Mund und den durchdringenden Augen hinter
den mächtigen Brillenglüsern erschien, strahlte der Zauber seiner gei-
stigen Persönlichkeit bald imponierend durch die Hülle einer rein tech-
nisch aufs äußerste beengten Sprachform. Für viele mag er nie
anders denn als großer Schweiger erschienen sein, dem aber, wenn
er seinen Beobachtungsposten einmal aufgab, die Gabe der kurzen,
schlagwortartigen Charakterisierung wie selten einem zu Gebote stand.
Diese Kunst bezeugen auch die literarischen Leistungen in so emi-
uentem Grade, daß man wohl versucht wäre, diese überraschenden
Neuprägungen einmal zu einem Lexikon kuustkritischer Terminologie
znsammenzufassen. Wenn er Fra Bartolommeo den geborenen Aka-
demiedirektor, Michelangelos Johannes dessen gelungenste Phrase
nennt, wenn er ein Bild als ein geschlechtsloses Professorenwerk, ge-
wisse Landschaften einer Polnisch-Münchner Künstlergruppe als Poesie
der akzentuierten Langenweile bezeichnet, wenn er sagt, dem Kunst-
vereinsphilister bedeute die Kunst nur den Parasiten eines ihm be-
kannten Anschauungskreises, wenn er von der Korrektionsjacke der
Laienästhetik, von ausgestopften Landschaften spricht, so gewinnt man
selbst aus diesen wenigen Proben den Eindruck, daß hier ein Sprach-
künstler von Bismarckscher Schaffenskraft sich äußert. Auch an Kon-
rad Fiedler wird man gelegentlich erinnert, wo das Wesen der künst-
lerischen Produktion, die stoffliche Beschränktheit artistischen Schaffens
u. ä. einmal den Gegenstand seiner Untersuchungen bildet. Wie bei

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