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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Haenel, Erich: Adolf Bayersdorfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0334

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jenem kann es wohl auch elnmal vorkommen, daß die Anschlußgliedcr
der gedanklichen Kette schneller zuschießen, als das konstruktive Ge-
rüst des Satzes heraufwächst, doch ohne daß der geduldigen Nach-
prüfung je eine Einzelheit des ganzen Aufbaues wirklich unverständ-
lich bleiben könnte.

Die Reiche, die diesem klaren Verstande zu Gebote standen,
darf man nicht nach den Proben unserer Publikation beschränkt
wähnen. Einer von Bayersdorfers Biographen betonte mit Recht,
daß seine natürlichen Anlagen ihn befähigt haben würden, in jedem
wissenschaftlichen Fach Außerordentliches zu leisten. Es liegt ein
Stück Renaissancenatur in diesem, durch ein erstaunliches Gedächtnis
und eine Phantasie von dichterischer Tiefe und Wärme unterstützten
Jntellekt, ein selbstverständlicher Hang zur Universalität, den man
Dilletantisterei heißen dürfte, wäre nicht der Neigung zum Vielerlei
ein so starker Zug schöpferischen Dranges beigemischt. Als Schach-
künstler hat er eine gewählte Anzahl ausgezeichneter Probleme hinter-
lasscn, dem Okkultismus widmete er, ein ehrlicher Feind aller ra-
tionalistischen Zünftelei, Jahre praktischen Studiums, als Literatur-
kenner konzentrierte er sich vor allem auf die Shakespere-Forschung,
von seinem musikalischen Feingefühl zeugen mehrere heute noch lesens-
werte Aufsätze über Lisztsche und Wagnersche Kompositionen. Daß
er als überzeugungstreuer Verehrer und intimer Kenner der klassi-
schen Meister, wovon die schöne gefühlsmäßige Nachdichtung von
Beethovens fünfter Symphonie in einem seiner Briefe Zeugnis gibt,
einem Richard Wagner nicht zuzustimmen vermochte, wird man ihm
heute nicht mehr übelnehmen. Auf jeden Fall war er der „Zukunfts-
musik" ein ehrenvoller Gegner, und die kritische Analyse der „Wal-
küre" hat denn auch dem damals vom heftigsten Kampfe der Par-
teien getragenen Meister Respekt eingeflößt. Das Wort von dem
„einzigen in München ernst zu nehmenden Gegner", das damals ge-
fallen sein soll, kennzeichnet die vielbesprochene Münchner Periode
in Wagners Leben aufs schlagendste.

Der Lebenslauf des Mannes, dem man jetzt zwei Jahre fast
nach seinem Tode die Ruhmeshalle deutschen Geistes erschließt, bietet
des Jnteressanten im Grunde wenig. Als Sohn eines fränkischen
Försters, der seinen Vater früh verlor, kam Bayersdorfer, geboren
1842, mit elf Jahren nach München aufs Gymnasium. Hier wandte
er sich dann auf der Universität naturgeschichtlichen und medizinischen
Studien zu, fand aber bald, eine ausgesprochen ästhetische Natnr wie
er war, in der Kunstgeschichte das ihm ganz zusagende Gebiet. Krank-
heit, Folgen eines in seiner ersten Jugend erworbenen Herzklappen-
fchlers und die angeborene Willensschwäche ließen ihn nicht zur Pro-
motion kommen; ungünstige Familienverhältnisse zwangen ihn, ehe
er noch seinen Lehrjahren den akademischen Abschluß geben konnte,
als Journalist für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Vielleicht hat
diese Zeit, da seine Feder für Jnteressen der verschiedensten Art,
Theater, Musik u. a. tätig war, ihm das Schreiben in jeder Form
für seines Lebens Dauer verleidet. Dabei vervollkommnete sich das
Maß seiner wissenschaftlichen Spezialkenntnisse schon jetzt immer mehr,
und im engen Umgang mit Männern wie Martin Greif, Karl du

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