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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1903)
DOI Artikel:
Bayersdorfer, Adolph: Deutsche Kunst um 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0344

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Jntuition können deshalb in der Gegenwart zu Korhphäen anwachsen
infolge eines größeren Bildungshorizonts, hochgehenden Wollens und
durch die wohlüberlegte umfassende Ausnützung alles möglichen, außer
dem künstlerischen Selbst liegenden Apparatus. Mit diesem umgibt
sich ein solcher wie der Ritter mit dem Harnisch und bewegt sich dann
als komplett gemachte Größe, der ersten einer, unter dem niedrigen
Fußvolke der Maler. Wenn man ihm aber diese pompöse Atelier-
rüstung auszieht und ihn unter primäre Bedingungen stellt, ihn ledig-
lich aus die Fähigkeiten seiner Phantasie, seines Auges und seiner
Palette anweist, ist es mit der künstlerischen Präponderanz vorbei,
und er ist ein so armer Schlucker wie ein anderer auch. Er ist
eben nur im Harnisch ein Ritter. Kein Schöpferdrang nötigt ihn
zur Ausströmung seiner Jndividualität, nicht aus dem eigenen Geiste
schafft er ein Kunstwerk — denn dort springt bei ihm kein Quell —
sondern aus den Durchschnittsvorstellungen der gebildeten Mitwelt,
aus den Anregungen der modernen Atelierstechnik, welche die impo-
santeste Ausstattuug ermöglicht, liest er sich die Jdeentrümmer und
artistischen Bestandteile zusammen, aus dcnen er seiu geschlechtsloses
Professorenwerk aufbaut. Die innerlich invalide Natur des mühevoll
zusammengelernten Schaustückes ist dann verdeckt durch die konster-
nierende Prachthülle, deren befriedigendes Studium alle Fähigkeiteu
im Kopfe des lieben Publikums in Bewegung setzt, nur nicht den
Kunstsinn.

Es hat auf der Ausstellung mauches Professorenbild geglänzt,
neben welchem ein Leierkasten keine schlechte Satire gewesen wäre,
auf dessen Betteltellerchen man ein paar Groschen hätte werfen können
für den armen Mann, der das schweißtriefende „Kunststück" hat macheu
müssen. Jn solch großmögenden Leistungen paaren sich hochfliegende
Absichten und umgreifende Pläne mit der eklektisch-zahmen (anstu-
dierten, nicht elementaren) Kunstanschauung des gebildeten Dilettan-
tismus. Dieser ist herkömmlicherweise in allen mageren Kunstepochen
das große Komplement des kleinen Restchens traditioneller Kunst und
glaubte immer an große Aufgaben anknüpfen zu dürfen, weil er sie
mit seinem Raisonnement umspannen kann. Man darf vor der Ein-
sicht nicht zurückschrecken, daß der gebildete Dilettantismus gegen-
wärtig wieder einmal akademische Form angenommen, seine Kunst-
erkenntnis methodisch in beschränkende Schulbegriffe umgesetzt hat und
beim Publikum widerspruchslos in die Achtung der Kunst eingerückt
ist. Zu allen Zeiten hat er neben der Kunst eine große Rolle, und
oft als der glücklichere Nebenbuhler, gespielt, weil er sich in die
Kulturlücke, welche die zur Rast gegangcne Kunst vakant gelasseu
hatte, geschickt und schulgerecht hineinzukoustruicren und an die Stelle
der naiven Offenbarung deren anspruchsvolle Jmitation zu setzen
wußte. Leider muß man gestehen, daß solche Beobachtungen vorzüg-
lich in der deutschen Abteilung der Wiener Ausstellung zu machen
waren. Die französische Kunst, obwohl das allgemeine Gcbrechen
teilend, erschien doch noch viel disziplinierter und zünftiger. Eine
fachgemäße Werktätigkeit scheint dort reine Traditionen länger be-
wahrt und die Phantasie in der Nichtung auf das Darstellbare heil-
sam gebunden und gelenkt zu haben.

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Runstwart
 
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