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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Bayersdorfer, Adolph: Deutsche Kunst um 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0345

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Der Wettkampf auf der Weltaus/tellung hat demnach trotz aller
Anstrengung und Selbstverleugnung der deutschen Kritik nicht zu
unsern Gunsten geendigt. Darüber sind alle Verständigeu, auch die
Künstler selbst, ohne Debatte einig geworden, und die kritische Schön-
färberei patriotischer Berichterstatter, die das Gegenteil behaupten
und beweisen wollten, war verlorene Liebesmüh'. Wir können die
Schwächen und Verirrungen der französischen Kunst noch so beredt
erörtern, uoch so abschreckend hinstelleu, wir werden dadurch die
deutsche Kunst, die seit mehr als einem Jahrzehnt fast alle ihre Typen
aus Frankreich bezieht, nicht besser machen, sondern nur in die ge-
ringschätzige Beurteilung mit verflechten.

Halten wir einmal Einkehr bei uns selbst und suchen wir uns
klar zu werden über Tendenz und Jnhalt unserer Kunst. Es nimmt
uns nichts an unserer Selbstachtung, wenn wir offen gestehen, daß
unsere heutige Kunst, die so gesegnet ist mit auftauchenden Talenten,
die Tradition verloren hat aus der Zeit der großen und ernsten
Bestrebungen mit spezisisch deutschcm Charakter. Deutscher Humanis-
inus und deutsche Romantik sind Hand in Hand von uns gegangen.
Mit Schwind ist ein herrlicher Ausläufer unserer nationalen Kunst
ohne Nachfolge ausgestorben; Peter Heß und Schnorr schieden ver-
einsamt aus einem entfremdeten Geschlecht; nur noch wenige Zweige
grünen an dem verwelkteu Baum, wie unser alter Hausfreund Lud-
wig Richter. Alles, was wir heute lcisten, das einzelne Große und
Treffliche, das wenige Gute, wie das viele Schlechte ist durchaus
veränderten Charakters, ist in seiner geistigen und historischen Ent-
stchungsgeschichte durch eiue große Kluft von der weiland heimischen
Kunst getrennt und hat seine ästhetischen Vorfahren in den verschie-
denen Spielarten der französischen Kunst zu suchen, welche sich seit
den vierziger Jahren entwickelt haben. Es wäre feiger Undank, dies
leugnen zu wollen. Es liegt in solcher Erkenntnis ja kein Vorwurf;
denn man kanu in der ncuen Art ein so großer Künstlcr sein als
in ber alten, und damals, als die deutsche Kunst zuerst nach den
neuen und blendenden Eigenschaften der französischen haschte, lag
in deren Erreichung ein wirklicher Fortschritt. Aber über der Be->
gierde, sich das Fremde anzueignen, vergaß sie sich und verlor ihren
heimatlichen Weg. So ist denn gekommen, daß man es jetzt als ein
Moment kunstgeschichtlicher Einsicht aussprechen muß, daß in den
Werken unserer Maler, die heute den Geschmack beherrschen, die
Schöpfer und Meister der neuen dcutschen Kunst nicht mehr nach-
lebeu. Cornelius und Rethel, Koch und Rottmann, sie sind dem im-
Portierten Geiste der modernen Malerei in keiner Weise wahlver-
wandt, und diese lcrnt von ihren Vorgüugern nichts mehr.

Adolf Bayersd orfer.

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